#Prosa
#Debüt

Arme Närrchen

Andrea Winkler

// Rezension von Nicole Streitler

Das Selbstgespräch ist eine Gattung, in der die Ichbezogenheit moderner Literatur noch potenziert wird. Es kreist mit Vorliebe um ein problematisches Ich, das sich in der poetischen Rede seiner Selbst vergewissert. Andrea Winkler hat mit ihrem literarischen Debüt einen Band Kurzprosa vorgelegt, in dem paradigmatisch vorgeführt wird, wie solche Ichbezogenheit poetisch angereichert werden kann. Sei es in der Bezogenheit auf andere Figuren oder Orte oder, besonders prägnant, in der Bezogenheit auf die Dingwelt, die, meist, als seltsame, fremde oder unheimliche erscheint.

Winkler, die sich in ihrer Dissertation unter dem Titel Schattenspiele mit „poetologischen Denkwegen zu Friederike Mayröcker“ (Hamburg 2003) beschäftigt hat, verdankt dieser Autorin, die sie auch in den Credits am Ende des Buches anführt, einiges, unter anderem die bereits erwähnte Ichbezogenheit, die das literarische Schreiben stets als Auslotung eines schreibenden Ichs begreift. Auch die Sensibilität für Epiphanien des Alltags, die Brüchigkeit und doch immense Stilsicherheit der Sprache, ihr Fließendes und eine Vorliebe für originelle Bilder lassen an Mayröcker denken.

Dennoch, und dies muss betont werden, gehört Winkler zweifellos einer anderen Generation an. Auch hier sind die Credits einigermaßen aufschlussreich: neben zahlreichen literarischen Größen wie Kafka, Shakespeare, Pascal, Stifter, Lasker-Schüler, Bachmann, Frisch, Plath, Barthes, Celan, Heiner Müller, Werner Schwab werden auch Vertreter der zeitgenössischen Independent Musik angeführt wie CocoRosie und die Sofa Surfers, aber auch der Singer/Songwriter Leonard Cohen und der Regisseur Wong Kar-Wai. Die Reihe ist wahrscheinlich beliebig erweiterbar, zeigt aber doch, dass hier eine Autorin ans Werk geht, die einerseits auf eine literarische und philosophische Tradition zurückgreifen kann und dies auch tut, andererseits aber auch Zugang zu den neuen Mediensprachen (zeitgenössische Musik, Film) hat.

Unglaublich stark ist der Beginn der einleitenden Erzählung Yppenplatz: Über Samir, Jakob, Sabina und mich. Schon der Schauplatz der Erzählung verweist hier auf ein gesellschaftliches Phänomen, das von zeitgenössischer Literatur kaum ausgespart werden kann, will sie ihrer Zeit gerecht werden, nämlich das, was üblicherweise als Multi-Kulturalität bezeichnet wird. Entscheidend ist aber die Art und Weise, in der dieses sensible Thema von Winkler behandelt wird. Schon die einleitenden Bilder lassen aufhorchen: „Immer,“ so der Eröffnungssatz, „wenn ich über den Yppenplatz gehe, kommen mir, zu einem Knäuel verflochten, Sabina, Jakob und Samir entgegen. Es muss eine Verbindung zwischen diesem Ort und diesen Menschen geben, einen Draht, der sich durch verborgene Netze windet, ohne Anfang und Ende.“

Obwohl er nicht in den Credits angeführt ist, fällt mir an dieser Stelle Musil ein, das Eröffnungsbild der Novelle Die Vollendung der Liebe aus dem Band Vereinigungen, wo der Strahl des Tees, der aus der Kanne fließt, gewissermaßen eine geometrische Verbindung zwischen den Liebenden herstellt. Und auch in der Folge muss ich an Musil denken, wenn von den Möglichkeiten und Unmöglichkeiten des Erzählens die Rede ist, freilich auch an die Selbstreflexivität aller modernen und insbesondere der mayröckerschen Literatur – eine ganz besondere, gewissermaßen poetologische Form des Selbstgesprächs:

„Ich weiß nicht“, heißt es da, „wie man angemessen von Menschen wie Sabina erzählt, ich weiß nicht, welcher Umgang der gefragteste ist und wo es eine Gerechtigkeit gibt für jemanden wie sie. Sähe Samir, der Sabina nicht ein einziges Mal getroffen hat, mir jetzt über die Schulter, flüsterte er mir ins Ohr, ich solle mich davor hüten, Sabina in allzu wohlklingende Worte zu packen: wer hier kein schönes Leben hat, dem kann es auch auf Papier nicht gegeben werden, wer fremd ist, muss es bleiben, darüber dürfen die Buchstaben nicht hinwegtäuschen. Sei still, Samir, es geht gar nicht um Sabina. Ich habe mit ihr nichts zu begleichen, mir keinen Reim auf sie zu machen, ihr nichts mehr zu verbieten, nichts zu raten. Aber sie bewohnt mich, verstehst du, manchmal in der Nacht, und ich bin dann Sabina und du und Jakob.“

Die Reflektiertheit des Erzählens, die Fülle der Fragen und Themen, mit denen sich die Autorin auseinandersetzt, die poetische Sprache und der mitunter auch politische Gehalt ihres Schreibens machen für mich die Stärken dieses Buches aus, dessen Subtilität freilich von den Blockbustern männlicher Selbstgewissheitsliteratur hinweggefegt werden wird. Zumindest steht das zu befürchten.

Arme Närrchen. Selbstgespräche.
Graz, Wien: Literaturverlag Droschl, 2006.
128 Seiten, gebunden.
ISBN 3-85420-706-9.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autorin

Rezension vom 26.09.2006

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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