#Biografie

Anton Kuh

Walter Schübler

// Rezension von Hubert Lengauer

Walter Schübler steht seinem „Gegenstand“ sehr nahe. Grundsatz und fast durchgehender stilistischer Zug der (nicht nur dadurch imposanten) Arbeit ist es, „auf den O-Ton zu setzen, […] ihn zu referieren ist nicht annähernd so unterhaltsam wie ihn zu zitieren“. Der Biograph, Herausgeber auch der Werke Kuhs, hat, so scheint es, alle 7 Bände dieser Ausgabe (2016, Wallstein-Verlag) im Kopf und verfügt souverän darüber. Die Beschreibungssprache neigt – wie die Sprache Kuhs – zum Kolloquialen, dessen „naßforsche Manier“ geht bisweilen auf den Biographen über.

Das ist auch ein Echo dessen, was als das „eigentliche“ Werk Kuhs gesehen wird: der freie mündliche Vortrag. Der kann naturgemäß nicht wiedergegeben werden, wird aber in unzähligen und oft gleich oder ähnlich lautenden Rezeptionsdokumenten gespiegelt: in der Begeisterung seiner „Fans“ wie in den Hasstiraden seiner Gegner. Und auch davon gab es nicht wenige. Ein Muster scheint sich hier zu wiederholen: mit Karl Kraus ging und geht es ähnlich, obwohl Kuh und Kraus zeitweise (Anfang der zwanziger Jahre mit dem Höhepunkt des Vortrags „Der Affe Zarathustras“, 1925) im Streit lagen: Kuh in der Rolle des „couragierten, stolzen Juden“, Kraus (aus der Perspektive Kuhs) als „Typus des ewig pubertierenden jüdischen Junggesellen“ mit dem dafür „typischen“ jüdischem Selbsthass. Der ungelöste Sexualstatus von Pubertierenden dominiere im „Volk der Knaben“ (Kuh), den Deutschen, die als „Gymnasiasten“ „Professoren in spe“, als Professoren „Schüler a.D.“ werden. Das bestimme auch ihr politisches Verhalten. Diese polemische Unterstellung trifft auch Assimilierte oder Assimilationswillige wie Karl Kraus und „erklärt“ das Phänomen des „jüdischen Selbsthasses“. Die Dominanzverhältnisse der jüdischen Familie werden in der Unterwerfungsgeste der Assimilation reproduziert, der „Vater“ ausgetauscht. Nicht verwunderlich, dass Max Brod ein begeisterter Anhänger Kuhs war; Kafkas „Verwandlung“ bezieht sich, so Schübler, bis in Formulierungen auf Anton Kuhs Texte.

Dass die „Verwandlung“ durch Assimilation nicht vor der Shoa geschützt hat, scheint Kuh noch nachträglich zu bestätigen. Die Folgen des grassierenden Antisemitismus waren in den Zwanzigerjahren vielleicht nicht in ihrer ganzen Dimension absehbar, sie trafen Juden wie Kuh und Assimilierte wie Hans Mayer (alias Jean Améry). Kuh ist das Feindbild der Antisemiten, seine (rassistischerweise) unterstellte „Heimatlosigkeit“ sieht Schübler positiv: als „selbstbewusstes, freigeistiges, sozialrevolutionäres Weltbürgertum“.

Die Orte seiner rhetorischen Triumphe sind Prag, Wien, Mährisch-Ostrau, Berlin, Hamburg, wo Kuh Vorträge über Sexualität („Erotik des Bürgers“, „Vergeistigte Liebe“, Frank Wedekind), aber auch – über Freudianische Deutungsschemata damit verbunden – über aktuelle politische Fragen hält („Juden und Deutsche“). Bevorzugtes Publikationsorgan Kuhs in den zwanziger Jahren wird Karl Tschuppiks „Die Stunde“, eine Novität (ab März 1923 erschienen) unter den Blättern der Zeit in Design und Illustrationen, mit einer Programmatik, die – nur geringfügig angepasst – noch der Gegenwart zur Überlegung anempfohlen ist: Sie vertritt „entschieden die Interessen des republikanischen Bürgers gegen jegliche […] behördliche Bevormundung, insbesondere sittenpolizeiliche Schnüffelei und Justizwillkür, arbeitet programmatisch gegen die von der christlichsozial dominierten Bundesregierung betriebene Provinzialisierung […], reagiert in ihrer europäischen Perspektive gegen die wieder Platz greifenden Nationalismen und insbesondere vehement gegen den nationalistischen ‚Kretinismus‘ […], gegen Kleingeisterei und Revanchismus, Militarismus und den endemischen Antisemitismus sowie das Lavieren der Christlichsozialen in Sachen Antisemitismus“.

Begonnen hatte Anton Kuhs Karriere 1909 im „Prager Tagblatt“, jedenfalls was die namentlich gezeichneten Artikel betrifft. Sie endete in New York, wo der exilierte Schriftsteller im Jänner 1941 starb. Im April 1940 hatte er seine letzte Stegreif-Rede, sein bevorzugtes Genre literarisch-journalistischer Äußerung, gehalten, danach noch Kolumnen unter dem Pseudonym „Yorick“ für ein New Yorker Exilblatt („Aufbau“) geschrieben.

Dazwischen erstreckt sich ein turbulentes, an Konflikten und Polemiken reiches Schriftsteller- und mehr noch: Darsteller- und Selbstdarsteller-Leben, das von den wohlwollenden Zeitgenossen mit Staunen und Bewunderung, von den Gegnern mit meist machtlos stammelnder Ablehnung quittiert wurde. Als „Klug- und Scharfsprecher“ bezeichnet ihn sein Biograph; Vergleiche mit atemberaubender Zirkus-Artistik oder Metaphern aus dem Bereich des Films zieren die Rezeptionsbelege.

Um die Fülle des Materials zu bändigen, legt Schübler mehrere Ordnungsschemata an. Ein annalistisches, das aber von einem thematischen überlagert wird. Randglossen mit Zeit- und Ortsangaben zu den Vorträgen stützen darüber hinaus die Orientierung in dem – noch einmal sei es lobend hervorgehoben – reichhaltigen Material. So entsteht nebenbei auch eine Geschichte des Judentums und des Antisemitismus in Deutschland, in Österreich und (in Ansätzen) auch im Exil-Land USA. Walter Schüblers Arbeit ist eine hervorragende philologisch-historisch-biographische Leistung, die weit über das Modell der Lebensbeschreibung eines einzelnen Menschen hinausgeht. Ein in jeder Hinsicht imponierendes Werk, das würdig an die ebenso imponierende Werkausgabe anschließt. Die Biographie einer strahlenden, exzentrischen Figur weitet sich zu einem Panorama einer düsteren Epoche.

Walter Schübler Anton Kuh
Biografie.
Göttingen: Wallstein, 2018.
575 S.; geb.
ISBN 978-3-8353-3189-1.

Rezension vom 07.01.2019

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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