#Sachbuch

Anna Mahler. Ich bin in mir selbst zu Hause

Barbara Weidle, Ursula Seeber (Hg.)

// Rezension von Daniela Strigl

1999 legte Marlene Streeruwitz mit ihrem autobiographisch motivierten Roman „Nachwelt“ das Paradox einer nicht geschriebenen Biographie vor: Die Heldin fährt in die USA, um dort für eine Auftragsarbeit das Leben der Anna Mahler zu recherchieren. Der Roman erzählt vom Scheitern ihres biographischen Vorhabens und liefert zugleich Bruchstücke jener Lebensgeschichte, die zu rekonstruieren er als unmöglich postuliert.

Nun haben sich aus Anlaß des 100. Geburtstages der Tochter von Gustav und Alma Mahler zwei Autorinnen der Aufgabe ohne die hinderlichen Skrupel grundsätzlicher poetologischer Erwägungen unterzogen: Ursula Seeber und Barbara Weidle legen als Herausgeberinnen eines Sammelbandes so etwas wie eine Biographie in Schlaglichtern vor. Kunstgeschichte und Germanistik, Musikwissenschaft und Geschichte zeigen sich interdisziplinär verbündet. Das Buch ist als Katalog zur Ausstellung im Wiener Literaturhaus konzipiert und deshalb hervorragend bebildert. Beleuchtet werden einzelne Abschnitte im Leben der 1904 in Wien geborenen, 1988 in London verstorbenen Bildhauerin, aber auch Aspekte ihrer Persönlichkeit und ihrer Wirkung.

So untersucht die Literaturwissenschaftlerin Ursula Seeber Anna Mahlers erstaunlich vielfältige Rolle in der zeitgenössischen Literatur, von Elias Canettis zwiespältiger Hommage in dem autobiographischem Band „Das Augenspiel“ über Robert Neumanns Exilroman „The Inquest“ (deutsch „Bibiana Santis“) bis zu Joshua Sobols Edelboulevard-Stück „Alma“ und eben Streeruwitz‘ gelungenem Bericht vom Versagen. Canettis Darstellung trägt dabei wohl Wesentliches zum Anna-Mahler-Mythos bei: „Sie bestand aus Augen. Was immer man sonst in ihr sah, war Illusion“, lautete eines seiner zweifelhaften Komplimente (während etwa Hilde Spiel von Annas Mund schwärmte). Die Affäre mit dem ehrgeizigen Jung-Autor dauerte kurz, nach zwei Monaten erhielt er den Laufpaß: „Es war beinahe etwas Erhabenes in der Art, wie sie mit einem umging, als habe sie ein natürliches Recht darauf, zu erheben und abzusetzen, ohne Erklärung, ohne Behutsamkeit, als habe der, den es so treffe, selbst für den härtesten Schlag dankbar zu sein, weil er von ihr kam.“

Nicht nur in dieser Episode – als die sich Canetti in Anna Mahlers Leben verbucht sah – erscheint die stadtbekannte Schönheit als Nachfolgerin ihrer berühmten Mutter. Wie sie sammelte sie Liebhaber und (berühmte) Ehemänner, insgesamt fünf, darunter Ernst Krenek, Paul Zsolnay und Albrecht Joseph, den Regisseur und Cutter, Freund von Horváth und Zuckmayer, Sekretär von Thomas Mann. Ihr großes musikalisches Talent, für das sie Vater und Mutter verantwortlich machen hätte können (Gustav Mahler starb, als sie sieben war), nutzte Anna Mahler nur für die Herstellung von Klavierauszügen, vornehmlich für Ernst Krenek, den Anna in Berlin kennengelernt hatte und der ihre wahre Ambition als bildende Künstlerin als Versuch abtat, sich von der übermächtigen Mutter zu emanzipieren. Da schreibt man 1921: Er ist 21, sie 17. Mit fatalistischer Direktheit kommt Gregory Hurworth in seinem Beitrag biographisch zur Sache: „Anfang Mai geschah das Unvermeidliche: Krenek nahm Anna in einen Gasthof am Scharmützelsee mit. Sie verbrachten die Nacht zusammen. Am nächsten Morgen stand Krenek früh auf und begann den kraftvollen zweiten Satz seiner Symphonie zu schreiben.“

Nach einem Zwischenspiel in Berlin ging Anna Mahler in Wien bei Fritz Wotruba in die Lehre, ihr Atelier in der Operngasse avancierte bald zum Treffpunkt der intellektuellen Szene. Mit Canettis Schilderung war Anna Mahler, wie man hier aus den hochinteressanten Erinnerungen Herta Blaukopfs erfährt, nicht einverstanden, weil die Beschreibung ihrer Freundin Veza Canetti ihr ebenso falsch erschien wie des Autors Selbstbeschreibung. Canetti sei so, wie sie ihn in Wien gekannt habe, nämlich „voller Gift, Haß und Neid (gegen Erfolgreichere)“ „viel interessanter“ gewesen als das Bild, das er von sich gezeichnet habe (wobei man allerdings anmerken könnte, daß von diesem Gift noch genug in die Autobiographie gesickert ist).

Daß in Anna Mahlers Atelier in der Operngasse ihr enger Freund Hermann Broch ebenso aus und ein ging wie die Spitzen der austrofaschistischen Regierung, wirft ein Licht auf die Vermischung der feindlichen Lager im Rahmen des gesellschaftlichen Lebens, die Oliver Hilmes, Autor der jüngsten Alma-Mahler-Biographie, am Beispiel dieser Familie „Zwischen Kreuz und Hakenkreuz“ näher darlegt. In der Döblinger Villa der – immer weiter nach rechts rückenden – Mutter lernte die dezidiert links eingestellte Tochter Bundeskanzler Kurt von Schuschnigg kennen, mit dem sie bald (zumindest) eine innige Freundschaft verband. Der ehemals revolutionäre Franz Werfel, der noch immer mit den spanischen Republikanern sympathisierte, entwickelte sich an Almas Seite zum Hofdichter des Ständestaates.

Anna Mahlers Weg in die englische Emigration – ihre Mutter und Werfel gingen über Frankreich nach Los Angeles – wird einerseits durch bisher unveröffentlichte Briefe Annas an Alma aus London dokumentiert und andererseits von Barbara Weidle nachgezeichnet, die mit vier Beiträgen den Löwenanteil zu diesem Band beisteuert, wobei der vierte, der sich mit Mahlers Kunst beschäftigt, besonders wichtig ist: 1937 war ihre Skulptur „Die Stehende“ vor dem österreichischen Pavillon auf der Pariser Weltausstellung gezeigt worden und hatte sie, über ihre Rolle als „Mahler-Tochter“ hinaus, bekannt gemacht. Nach dem Krieg litt Anna Mahler am mangelnden Interesse an ihrer bildhauerischen Arbeit, vor allem in den USA, wohin sie 1950 übersiedelt war. Nicht zuletzt deshalb verbrachte sie ihre letzten Jahre wieder in Europa, in London und in Spoleto. Die Herausgeberin stellt sie als sensible und konsequente Künstlerin mit einer besonderen Begabung für die Portraitbüste dar. So wird in diesem Buch eine der faszinierendsten Österreicherinnen des 20. Jahrhunderts nicht nur als Freundin bedeutender Männer portraitiert, sondern als eigenständige Begabung. Als eine extrem unabhängige und beunruhigend selbstgenügsame Frau, die kaum Kompromisse machte – nach über dreißig Jahren trennte sie sich mit achtzig noch von ihrem letzten Ehemann Albrecht Joseph. Als die geplagte Tochter einer „Tigermami“ (A.M.), die ihren eigenen Töchtern eine problematische Mutter war und dennoch von ihnen bewundert wurde. Die die meiste Zeit ihres Lebens nicht bloß wohlhabend war, sondern reich, bisweilen aber auch richtig arm, und die sich weder vom einen noch vom andern beeindrucken ließ. Die Wien und Österreich haßte und der Welt ihrer Kindheit und Jugend doch bis zu ihrem Tod verbunden blieb.

Barbara Weidle, Ursula Seeber (Hg.) Anna Mahler. Ich bin in mir selbst zu Hause
Porträt.
Bonn: Weidle Verlag, 2004.
240 S.; brosch.; m. Abb.
ISBN 3-931135-79-9.

Rezension vom 10.01.2005

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.