#Prosa

Angabe der Person

Elfriede Jelinek

// Rezension von Janko Ferk

SCHÖNSTE ASSOZIATIONSPROSA,
GEWEBT WIE EIN TEPPICH 

Claudia Müller hat in diesem Jahr ein Filmporträt zu Elfriede Jelinek gestaltet. Eigentlich eine Dokumentation. Am Beginn sagt die junge Jelinek etwas Wegweisendes: „Es wird nicht angehen, dass ich Naivgeschichten weiterhin erfinde, sondern die Schriftsteller werden sich Wissen aneignen müssen, und dieses Wissen werde ich mir aneignen.“

Elfriede Jelinek hat ihre Ansage im Band Angabe der Person wahrgemacht. Und wie. Die Kenntnisse der Schriftstellerin im betriebswirtschaftlichen, juristischen und steuerrechtlichen Fach sind mehr als erstaunlich. Dieses Fachwissen muss man sich aneignen, die tägliche Lektüre von ein paar österreichischen Klein- oder gar Großformaten reicht beileibe nicht aus. Auch mit Google wäre es nicht getan. Es muss ein Grundinteresse, gepaart mit Intelligenz, vorhanden sein. Es klingen sogar Kenntnisse im Bauwesen an.

Der Auslöser für das Buch, dem eine Gattungsangabe fehlt, war ein steuerliches Ermittlungsverfahren, das zwar inzwischen längst eingestellt wurde, das aber selbst intimste E-Mails auswertete. Die Steuer war der Anlass, auf die „Lebenslaufbahn“ zurückzublicken. „Das Verfahren gegen mich ist eingestellt. Ich bin außer mir, ich bin die Spurenträgerin, und jetzt stellen sie nicht mich ein, sondern das Verfahren.“ (S. 115.)

Aber der Reihe nach. Der Text ist ein Wortteppich – mit Beistrich, Punkt und (doppeltem) Absatz. Die Fäden werden ganz genau gesponnen. Aus jedem Wort werden mehrere mögliche Bedeutungen gefiltert. Das Buch ist Prosa sowie Bühnenvorlage in Einem und wird im Dezember 2022 am Deutschen Theater Berlin uraufgeführt. (Während der Lektüre der 188 Seiten habe ich die Schauspieler und Schauspielerinnen bedauert, und zwar ob der exorbitanten Formulierungsfülle, die auswendig gelernt werden muss.) Allein die Lektüre bedarf eines hohen Maßes an Konzentration. Es ist ein Buch, ein Stück, in das man sich geradezu hineinlesen muss.

Zur Lektüre gehört auch ein Grundwissen und vor allem -interesse an der gegenwärtigen Politik Österreichs, dann kann man die Anspielungen kurz entsch(l)üsseln. Elfriede Jelinek arbeitet ganz Österreich auf. Aber nicht nur. Auch die Fürstentümer Liechtenstein und Monaco, die Schweiz, Zypern und ein paar steuerschonende Inseln werden beim Namen genannt.
Doch das ist naturgemäß nicht alles. Erstmals erzählt Elfriede Jelinek literarisch die Geschichte des jüdischen Teils ihrer Familie. In die eigenen „Angabe[n] der Person“ schieben sich immer wieder Berichte über das Schicksal von Verwandten, die während der Nazizeit aus Österreich fliehen mussten, die deportiert und ermordet wurden. Zugleich führt ihr privater Steuerfall zum kompetenten Nachdenken über globale Kapitalströme. Jelinek fragt wiederholt, ob und wie sehr Staaten bis heute von enteigneten jüdischen Vermögen, auch ihrer Familie, profitieren. Und stellt gleich die berechtigte Gegenfrage, wie viele Nazi-Größen umgekehrt nach dem Jahr 1945 anstandslos entschädigt wurden. Gestreift werden aktuelle Steuersparmodelle und handfeste Betrugsskandale von Cum-Ex-Geschäften bis zu Wirecard.

So autobiographisch wie allgemeingültig, so sarkastisch wie wütend rechnet Elfriede Jelinek nicht nur mit sich, sondern auch mit einer Gesellschaft ab, die sich eher für die Täter als ihre Opfer interessiert, und verfolgt die geheimnisvollen Wege des großen Gelds in der modernen Wirtschaft, weshalb wiederholt sei, dass ihr Fachwissen erstaunt. „Die Einkommensteuer hat mehr Kriminelle geschaffen als jedes Gesetz!“ Oder: „… das Geld aber sollte man nicht für immer einschließen, es muß ja arbeiten gehen.“ (S. 11)

Festgehalten sei auch Jelineks literarische beziehungsweise literaturwissenschaftliche Sachverständigkeit. Bei „Angabe der Person“ handelt es sich einerseits um noble Akkusations- und andererseits feinste Assoziationsprosa. Ein Wort ergibt das andere, ein Gedanke den anderen, so entsteht ein ganzes Buch, ein gesamthaftes Werk. Jelinek assoziiert so geschickt, dass der (Gedanken-)Weg von Pontius Pilatus zu Uli Hoeneß, dem Betreiber einer „Großfleischerei“ (S. 109), ein sehr kurzer ist. Oder anders ausgedrückt, „… dafür stutzen mich die Menschen vom Amt zusammen. Recht haben sie. Dabei sind meine Triebe im Alter nicht einmal gewachsen.“ (S. 160.) Schöner könnte oder vielmehr konnte es nicht einmal eine bereits verstorbene Kollegin, eine „andre Dame“ mit herrlichen Gedichten und wunderbarer Prosa, „alles picobello“, ausdrücken, die auf Seite 123 desgleichen ihr Fett abbekommt.

Andere bekommen mehr ab als Fett. Die Nazischlächter und -täter nennt sie beim Namen, die heutigen Korruptionsfiguren kann man sich anhand der geschickten Assoziationen zusammenreimen. Auch einen gegenwärtigen Rechtsanwalt und Schriftsteller, der ein Enkel des berüchtigten Baldur von … ist. Ihn literarisiert sie mit einer gewissen Wut im Bauch und in der Schreibe. Ihre Abrechnung ist aber vor allem voller Schmerzen und voller Trauer. Ohne Hass, aber wie festgestellt, mit Wut. „Ihre Unschuld wird Ihnen hiermit schriftlich bescheinigt. … Also Ihr Opa, für den können Sie nichts …“ (S. 54.)

Und überhaupt dieser schöne biblische Satz: „… diese Nullen sind es nicht wert, ihnen die Schuhbänder ihrer Sneaker zu lösen …“ (S. 101.)
Chapeau, liebe Elfriede Jelinek!

Nicht ungeschoren bleiben darf der Verlag. Erstens. Das Cover ist phantasielos. Es stilisiert nicht den gedachten Aktenumschlag oder ein Formular. Zweitens. Der Flattersatz ist für die Leser:innen die reine Zumutung. Und drittens. Die Schriftgröße ist um mindestens zwei Punkt zu klein. Vielleicht schafft eine weitere Auflage die „Bereinigung“ dieser Punkte… 

Elfriede Jelinek Angabe der Person
Prosa.
Hamburg: Rowohlt, 2022.
188 S.; geb.
ISBN 978-3-498-00318-0.

Rezension vom 15.11.2022

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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