#Prosa

anfangs noch

Annett Krendlesberger

// Rezension von Sabine Schuster

„Beharrlich und minutiös werden Wahrnehmungen (auf)gezeichnet. Sensorisch, akustisch, visuell zeigen die Texte, „wie sich das anfühlt“ im patriarchalen Beziehungsgefälle, im enggefassten Konventionsraum einer bürgerlichen Kleinfamilie, deren Farbraum entsprechend der reduzierten Gefühlswelt in weißen und gedämpften Tönen erscheint.
Es ist nicht nur das Frühstücksei, das im ersten Stück zu Boden fällt, zerbricht und in einer Farborgie explodiert, auch die Körper stürzen, überschlagen sich, verlieren Schwerpunkt und Standfestigkeit. (…) Vorläufig nur in der Vorstellung wird ein Kontrollverlust vorweggenommen, der sich möglicherweise anders entladen wird. Annett Krendlesberger komponiert es in einer Dramaturgie der Zeitlupe.“

Dieser Kommentar von Petra Panther zu Annett Krendlesbergers neuen Prosastücken, zu finden auf der Webseite der Edition fabrik.transit, umreißt die Arbeitsweise der Autorin präzise und betont das filmische Element der Texte, die sich tatsächlich wie surreale Bilderfolgen im Kopf festsetzen. Das beginnt gleich auf der ersten Seite, wo mit wenigen Sätzen eine beklemmende Familiensituation wie ein Filmstill, ein eingefrorener Moment, skizziert wird: Ein Morgen, des Vormunds Schuhe im Vorzimmer, an der Wand das Bild vom See, fleckiges Holz, abgesplitterte Farbe, grün-blaue Landschaft unter Gewitterwolken, ein Blick hinterm Bauernkasten hervor auf den frühstückenden Vormund:

„Er las, du rührtest dich nicht.
Um die Schenkel spannte sich dir die Haut,
als würde sie an allen Härchen zugleich
emporgezogen. Vor dem Vormund saß ein Ei
in seinem Becher“ (S. 8)

Faszination und Unbehagen mischen sich wie so oft beim Lesen von Krendlesbergers Texten, man blickt hinter scheinbar intakte Fassaden und kommt als BeobachterIn ausnahmslos ungelegen. Es ist ein voyeuristischer, verstörender Blick in familiäre Welten, in denen sich Geborgenheit und Grauen, Normalität und Wahnsinn auf perfide Weise verschränken. Gleichzeitig ein Blick, der mit Möglichkeiten spielt und die sogenannte Realität laufend in Frage stellt. Die Kamera befindet sich stets im Kopf der beobachtenden Figuren, doch wie sehr vertrauen wir der Wahrnehmung dieser ProtagonistInnen, die ganz offensichtlich von den Lebensumständen aus ihrer Mitte, aus ihrer Existenz hinausgedrängt werden?

In der Phantasie entflieht die junge Erzählerin der ersten Geschichte spielerisch ihrer prekären Situation und lässt den Vormund, der anfangs noch „satt“ sitzt, „die Sohlen fest auf den Boden gestemmt“, beim Zeitunglesen mit dem Sessel schaukeln, den Halt verlieren, krachend auf den Parkettboden schlagen, daliegen im eigenen Blut. Auch das Frühstücksei rollt auf diesen Boden, platzt auf, „aus allen Ritzen dottertriefend und gelb“. Eine Szene wie bei Quentin Tarantino: Rache, Genugtuung und eine slapstickartige Eskalation, die uns kurz zum Lachen bringt. Doch all das ist Kopfkino, der Körper des Mädchens steht immer noch im Bademantel hinter dem Bauernkasten, die Arme schützend um den Bauch gewickelt.
Was passiert wäre, hätte sie sich aus ihrer Erstarrung herausgewagt, ist Gegenstand einer weiteren Geschichte mit dem Titel „Das Fell“, in er die Erzählerin schließlich mit dem Vormund beim Frühstück sitzt, schutzlos seinen verbalen Übergriffen ausgesetzt, mit schweißkalten Händen den Zipfel der Tischdecke knetend.

Ein weibliches Ich in verschiedenen Lebensaltern, der Vormund, seine Frau, ein Ziehbruder, eine Schwester, ein namenloser Mann, eine Mutter, der neue Mann an ihrer Seite, eine alte Frau mit Einkaufsnetz, eine demente Dame und ihre Tochter – manche Personen in Krendlesbergers Erzählungen scheinen lose miteinander verknüpft. Auch ihre Beziehungserfahrungen sind ähnlich – bestimmt von Bedürftigkeit, Hilflosigkeit, Bedrohung, Angst, Einsamkeit.
Selbst Gäste trifft man in dieser Gefühlswelt lieber außer Haus, weil sie daheim zu viel Raum einnehmen würden: „So eng, sagtest du, so eng dann die Grenzen um mich.“ (S. 51)
Der junge Mann in der Erzählung „Großes Graues“ nimmt seine Umwelt als feindlich wahr, als normiert, sich selbst „als einzig Anderes unter Gleichen“ (S. 57). Nur ganz zu Beginn erleben wir ihn in einem seltenen Moment, in dem er vor lauter Müdigkeit die Kontrolle abgibt und plötzlich ein „Warmgefühl“ unter Menschen spürt: „Sein gelassen. Sein gelassen hatte er sich.“ (S. 55).
Nicht alle Texte in diesem Band haben die gleiche Kraft und manchmal würde man sich als LeserIn gerne davonstehlen vor dem vielen Unglück, das hier versammelt ist.
Was einen davon abhält, ist die Sprache der Autorin, ihr Bilderreichtum, ihr Rhythmus, ihre Treffsicherheit. Sie trägt einen weiter und es lohnt sich, etwa für die luftig-leichte Geschichte „Im Augenblick“. Dieses Portrait einer Frau beginnt mit dem schlichten Satz „Sie trägt ein Netz“. Dann: Frühsommerwind weht, das Netz glänzt in der Sonne, sie trägt ein Kleid mit hellen grünen Streifen, Wind fährt ins Haar. Ein heißer Tag, der Gehsteig wie frisch gefegt. Erst allmählich durchbrechen andere Wahrnehmungen die heiter anmutende Stimmung: Langsame Schritte, wie blind, ein Horchen, ein unsicherer Tritt auf den Zebrastreifen, wie auf Eis. Ein kleines, altes Foto in ihrer Hand, zwischen Daumen und Zeigefinger, ein Mann mit blauen Augen, blau wie die ihren. Leise, beinahe lyrisch dann der Schluß:

„Heute ist ein stiller Tag. Auch das Surren des Motors ist leis.
Und die Frau, sie rührt sich nicht.“ (S. 76)

Annett Krendesberger anfangs noch
Prosastücke.
Wien: Edition fabrik.transit, 2019.
102 S.; geb.
ISBN 978-3-90326706-0.

Rezension vom 25.02.2020

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.