Seine Geschichten spielen demnach in Österreich und Israel. Die Differenz konstituiert die Identität der heutigen jüdischen Protagonisten, seien sie nun aus Wien oder Tel Aviv beziehungsweise in beiden Städten beheimatet. Auch sein neuer Roman Andernorts ist eine österreichisch-israelisch-jüdische Geschichte mit dem von ihm gewohnten Tiefgang.
Die Helden des Suhrkamp-Romans sind einerseits Felix und Dina Rosen, Ethan Rosens Eltern, und andererseits Ethan sowie sein wissenschaftlicher Widerpart Rudi Klausinger. Beide sind Koryphäen auf demselben Forschungsgebiet, was allein schon verhängnisvoll genug wäre, wenn man sich den intriganten Boden, auf dem solche Mätzchen spielen, auch nur annähernd vorstellen kann.
Rosen und Klausinger sind grundverschieden, der erste überall zu Hause und nirgends daheim, der zweite mehr oder weniger Liebkind seines Umfelds, dessen „letztes Buch über museale Darstellungen von Minderheiten in Europa“, insbesondere der Kärntner Slowenen, gerade „viel Anerkennung erfahren“ hat. Rudi Klausinger, der auf der Suche nach seinem Vater ist, stößt bei seinen Abstammungsforschungen auf Ethan Rosen. Und hier beginnt eine Geschichte, die ausgedachter nicht sein könnte, und dennoch in jeder Zeile den Eindruck erweckt, dass sie sich eins zu eins so und heute abspielen könnte.
Anders gesagt, liefert Doron Rabinovici die Literarisierung einer jüdischen Vatersuche, die sich auch mit der Frage beschäftigt, „was Geschichte eigentlich sei“, wie es der Autor selbst ausdrückt. Er liefert „eine anschauliche Darstellung dessen, was sonst nur dogmatisch abgehandelt wird.“ Rabinovici zeigt, was die Auseinandersetzung mit Historischem bringt und stellt nicht als Erster die Frage: „Muß ich wissen, woher ich komme, um zu verstehen, wohin ich gehe?“
Die Geschichte ist hochinteressant erzählt und gipfelt nach anfänglichen Mannerschnitten, Mozartkugeln und einigen „Abstrusitäten“ darin, dass ein Rabbi, und zwar „ein Fundamentalist, ein jüdischer Mullah“, das Projekt, „den Messias im Reagenzglas zu erschaffen“, ernsthaft und mit aller Kraft verfolgt. Letztlich vermittelt uns Rabinovici damit eine sich nicht erfüllende zeitgenössische Heilsgeschichte eines jüdischen Grundsatzfanatikers. Aber nicht nur darin ist Rabinovici gleichsam ein Übertreibungskünstler jüdischen Humors, von Anfang an liest man Stellen, die einen herzhaft und auf hohem Niveau lachen lassen.
Die Beobachtungsgabe, die der Schriftsteller in Andernorts aufs Neue beweist, ist faszinierend. Sein Können, das Gesehene und Geschehen(e) literarisch zu verarbeiten, ist überzeugend. Die LeserInnen werden sich im Text verfangen. Inhalt und Sprache vernetzen sich ungekünstelt und wie selbstverständlich nicht nur dort zu einem Sprach-Kunst-Werk, wo ein Mann „nach einer Mischung aus Parfum und Sperma“ riecht. Rabinovici schafft in seinen Sätzen durch ungemeine Genauigkeit poetische Stärke: „Er schaute zu, wie alles, was er je gewesen war, ausgelöscht wurde.“
Insgesamt ein großartiges Buch, mit noch ein paar besonderen, sympathischen Komponenten: Doron Rabinovici gebraucht die so genannte alte Rechtschreibung und übersetzt in seinem Text Ausdrücke, die aus dem Hebräischen und Jiddischen stammen, nicht, was soviel heißt, wie: Dieser Schriftsteller nimmt – bei all seinem Humor – den Leser ernst.