Brita Steinwendtner erzählt mit leichter Ironie von einem dilettantischen Weltverbesserer und Lebenskünstler. Es wird ihm nie gelingen das Studium der Germanistik, Philosophie und Geschichte mit seiner Magisterarbeit abzuschließen, dafür fehlt dem ewigen Studenten die nötige Disziplin. Sein gesamtes literarisches Wissen steckt in seinem Zuhause, das 11500 Bände birgt. Auch die dortigen Musik- und Lyrik-Abende sind legendär. Es ist ein Haus mit offenen Türen, eine moderne Wohngemeinschaft, die – gemäß dem Romantitel – an diesem einen Punkt der Welt liegt. Brita Steinwendtner schafft mit diesem idyllischen Ort einen klassischen „locus amoenus“. Das 205 Jahre alte, liebenswerte Lamanderhaus ist vom fabelhaften Lamanderbach umgeben. Mit dem Protagonisten Tom kreiert sie eine Romanfigur, die mit dem Haus physisch und symbolisch eng verbunden ist.
Die Schattenseite des Idylls sind böse Gerüchte, welche von den Dorfbewohnern verbreitet werden. Die Geschichte von Anjuschka zeigt die Absurdität von ebensolchen „Gerüchteküchen“, das Mädchen ist ein Vergewaltigungsopfer und wird durch das Gerede der Dorfleute zur „Hur‘“ abgewertet.
Für Toms alternativen und den Dorfbewohnern rätselhaften Lebensstil scheint am Land nicht der richtige Ort zu sein. Warum lebt Tom nicht in der Stadt? Die Verortung des Menschen, sei es in der Heimat oder auf Reisen, ist ein wiederkehrendes Leitmotiv in den literarischen Texten von Brita Steinwendtner. Möglicherweise wäre das Leben für Tom in der Stadt einfacher, zumal Toms idealistische Arbeit reine Brotkunst ist.
Toms Frauen prägen seine Entscheidungen auf seinem Lebensweg. So löst sich Tom in den 1970er Jahren durch die Liaison mit Violetta von einer Sekte. Später wird er von seiner Partnerin Elisa betrogen. Die Unfähigkeit zu verzeihen und die Ungewissheit, ob Elisa von ihrem Geliebten oder von ihm schwanger ist, treiben den heimatverbundenen Tom nach Kanada.
Reisen als literarisches Motiv bedeutet im Roman von Brita Steinwendtner Abenteuerlust, Freiheitsdrang und Neuorientierung. Nicht zufällig reist Tom nach Duluth, wo sein Idol Bob Dylan geboren wurde. Endlose Natur, fremde Kultur und die Liebschaft mit der Indianerin Aiyanna lassen Tom den Schmerz über Elisas Betrug zwar nicht vergessen, aber er ist bereit zu verzeihen. Als er in seine Heimat zurückkehrt, scheint es aber zu spät zu sein für eine Versöhnung.
Der Roman An diesem einen Punkt der Welt ist eine Biografie. Da der Held es aber nicht mehr selbst geschafft hat diese niederzuschreiben, erzählt ein Vertrauter sein Leben. Er kann naturgemäß nicht alles über seinen Freund wissen, vielmehr kommt es ihm darauf an, Toms Lebensweise authentisch näher zu bringen bzw. diese zu reflektieren.
Der Erzählstil von Brita Steinwendtner ist geprägt durch eine bedachte Wortwahl. Die komplexen Schachtelsätze sind gekonnt gestaltet, aber stellenweise etwas langatmig. Ein beliebtes Stilmittel sind Wortspiele und Anaphern, die dem Roman einen poetischen Aspekt verleihen.
Intermedial verweist die Autorin mit einem ironischen Augenzwinkern auf die „Millionenshow“, auf den „L´Oréal“ Werbespruch „Weil ich es mir wert bin“ und auf Jamie Olivers TV-Kochshow. Das Namedropping aus der österreichischen Literaturwelt lässt erahnen, welche Bücher in den Regalen des Lamanderhauses gestanden haben mögen. So werden etwa Thomas Bernhards analytischer Blick und Ilse Aichingers Sarkasmus zitiert.
Gewiss würde Tom für den Roman An diesem einen Punkt der Welt einen Platz in seinem Bücherregal im Lamanderhaus finden. So sei auch den Leserinnen und Lesern geraten diesen Roman in ihre Bibliotheken aufzunehmen oder ihn einfach in die Reisetasche einzustecken.