Die Verfasserin lässt die Leser:innen an ihrer Arbeit teilhaben. Mit W. (siehe Widmung) ist sie auf den Spuren der Porträtierten unterwegs, sie bereist Dichterlandschaften, bezaubert mit ihrem Gespür für Schicksale. Insgesamt sind es elf von Landschaften ausgehende Annäherungen an: Adalbert Stifter, Mechtilde Lichnowsky, Walter Benjamin, Friedrich Hölderlin, Georg Trakl, Ilse Aichinger, Tania Blixen, Friderike und Stefan Zweig, Carl Zuckmayer, August von Platen, H.C. Artmann. Die Überschriften im Inhaltsverzeichnis dreiteilig: Eine pointierte Charakteristik des jeweiligen Autor:innen-Wirkens als Titel zunächst, dann der Name, als Drittes die Landschaft, die zwecks Einfühlung und Recherche begangen wurde. Das Wesentliche gilt es zu erfassen, das geht nur vor Ort, das geht nur mit leidenschaftlicher Lektüre der verfügbaren Texte. Und immer wieder zentrieren sich die Erzählungen auf wiederkehrende Grundhaltungen hin, oft ist das eine aus der Tiefe schöpfende Hoffnung, die sich in aller Leben bis zuletzt als unauslöschlich erweist. Ob wir mit Stifter, Lichnowsky, Benjamin, Trakl oder Zweig an der Seite der Autorin unterwegs sind: Die sich an ihre Ideale und Ziele Klammernden vermitteln selbst im Scheitern humane Tugenden, derer eine krisengebeutelte Zeit wie unsere bedarf.
Vermutlich hat Brita Steinwendtner nicht zufällig Adalbert Stifter an den Beginn ihrer Porträtreihe gestellt: An ihm, dem oberösterreichischen Landsmann, lässt sich schön exemplifizieren, wie sich die Autorin den Dargestellten annähert. Voller Bildungsoptimismus (der an Aufklärung und Klassik erinnert, aber auch an ihren letzten Roman) führt sie zunächst vor, wie Stifter sich langsam entfaltete. „Liest, hört zu, entwirft, sammelt, lässt werden. Welcher Nährboden sind diese Jahre gewesen.“ (S.14)
Steinwendtner hat sich in eine bäuerliche Klausur am Toten Gebirge zurückgezogen, dort im „Land ob der Enns“ ist ihr Stifters „sanftes Gesetz“ und seine Einfühlung in die Natur am besten erfahrbar. So gelingt es ihr, den Dichter – inzwischen wohl Seelenverwandten – u.a. als Schöpfer betörend schöner „Sprachbilder von Wald und Fluss, Gebirge und Gletschereis, von Wiesengrün und Blumenduft, Äther und Erde, Sonne Mond und Sternen“ (S.16) zu fassen. Zugleich bleibt sie dort in der Abgeschiedenheit des südlichen Oberösterreich für den Leser greifbar, lädt ihn ins Arbeitszimmer ein, erzählt, wie ihr Blick in die vormals von Stifter geliebte Landschaft hinausschweift. Ebenso leibhaftig wird sie später mit Mechtilde Lichnowsky fern am Meer unterwegs sein, sich da wie dort gegenwärtigen Naturimpressionen öffnen: „Türkis, Cyan und Azur sind die Farben des Meeres.“ (S.69) Und wie man sieht: Begleitet von den bereits verstorbenen Schriftsteller-Freund:innen verlegt sich die Autorin besonders bei der Beschreibung der aufgesuchten Landschaften auf lyrisches Sprechen.
Im Kern erweist sich Brita Steinwendtner als unbeirrbare Humanistin, ihr geht es vor allem um menschliche Schicksale, denen sie sich in all ihrer – auf den ersten Blick vielleicht verstörenden –Widersprüchlichkeit annähern will. Exemplarisch will ich das an dem Abschnitt über Walter Benjamin zeigen: Wenn die Autorin an der Seite des Flüchtlings über die Pyrenäen wandert, versucht sie sich in das Paradox seines Lebensendes einzufühlen: Der Verfechter unauslöschlicher Hoffnung beendete in auswegloser Situation sein Leben selbst, um einem Pushback (leider von brisanter Aktualität) und der Verhaftung durch die Gestapo zu entgehen. Wie bei anderen Porträts geht es bei Benjamin nicht zuletzt um das Erinnern an einen in Vergessenheit geratenen Schriftsteller und sein sinnstiftendes Werk.
Diese Kurzessays breiten eine unglaubliche Fülle von Wissenswertem aus, kommen nachsinnend in einem weiteren Schritt zu erhellenden Kommentaren. Die Beziehung zwischen Stefan und Friderike Zweig verdichtet Steinwendtner beispielsweise zu folgender Einsicht: „Wenige Schriftsteller sind von ihren Frauen oder Geliebten so tief verstanden worden wie Stefan Zweig von Friderike.“ (S.266) An anderer Stelle des gleichen Porträts verweist sie auf ein vielen unbekanntes Faktum: Die erst spät aufgedeckte Ablehnung Zweigs durch Hugo von Hoffmannsthal versperrte dem am Kapuzinerberg Wohnenden den Zugang zur Festspielgesellschaft. Insgesamt bewundernswert, wie jeweils mit emsigem Fleiß alle Daten zusammengetragen und gesichtet sind. So wird das Buch nebenher zum Lexikon für alles derzeit zugängliche Wissen um die elf Schriftsteller:innen. Ergänzt wird die Vermittlung von Faktischem durch zitierende Textvermittlung. Trakl-Gedichte oder Hölderlin-Verse, ebenso formvollendete Gedichtstrophen August von Platens, die aus der Zeit gefallen sind, werden einem da vor Augen gestellt: Wie schön, Steinwendtner rettet literarische Textgebilde vor dem Vergessenwerden.
Ehrenrettung bzw. Gerechtigkeit sind ein wiederkehrendes Anliegen dieser Porträts, in besonders engagierter Weise bei Frauenschicksalen: Unsere Autorin will es nicht dulden, dass Mechtilde Lichnowsky als „vergnüglich plaudernde Dame“ (S.75) abgetan wird. Ebenso will sie die progressive Seite der trotz ihrer unschuldig erworbenen Syphilis so tapferen Tania Blixen geachtet wissen. Deren unbesiegbarer Glaube leuchtet dem Leser entgegen: „Und das Leben der Menschen ist mehr als ein Leben.“ (S.209) Das Engagement für Gerechtigkeit ist aber auch in den Essays über die männlichen Schriftsteller bedeutsam, besonders im Schlusskapitel über den Steinwendtner persönlich bekannten H.C. Artmann. Er wurde aus Salzburg vertrieben, das wagt die Autorin unverblümt zu konstatieren. Und es gelingt ihr, den Leser:innen auch seine schillernde Persönlichkeit in ihrem Wesen zu erschließen, als Mystifikateur, der alle Metamorphosen des Lebens liebt, als Troubadour, der durch die Welt geistert.
Brita Steinwendtner steht an den Gestaden des Literarischen. Und was sie zutage fördert, verbreitet Freude. Schöne Literatur ist menschlich, zutiefst menschlich, dafür verbürgt sich diese germanistisch präzise Salzburger Dichterin. Herzlich und fein sind diese Porträts gearbeitet, eine Wohltat in unserer zunehmend enthumanisierten und kulturentfremdeten Epoche.