#Prosa
#Debüt

An dem Tag, als ich meine Friseuse küsste, sind viele Vögel gestorben

Josef Kleindienst

// Rezension von Bernd Schuchter

Friseusen und verrückte Affen
Josef Kleindiensts skurriles Debüt

Josef Kleindienst hat ein reichlich skurriles Debüt vorgelegt, zu Recht wurde er mit An dem Tag, als ich meine Friseuse küsste, sind viele Vögel gestorben auf die Longlist zum „Preis für den kuriosesten Buchtitel 2010“ gesetzt. Der Titel ist die halbe Miete, das wusste auch schon Harald Martenstein, das gilt auch für Kleindiensts Prosatext, der zwischen allen Genres changiert. Natürlich ist die Friseuse unterhaltsam und witzig, sie ist skurril und teilweise obszön, aber das allein würde nicht ausreichen, dem schriftstellerischen Anspruch von Josef Kleindienst gerecht zu werden.

Es ist nicht bloß ein weiteres Stück Onanier-Literatur, obwohl das nicht zu kurz kommen darf („Ich möchte onanieren. Ich möchte die Welt wegonanieren.“), aber Kleindienst hat nicht den verbissenen Ernst, dass damit auch etwas ausgedrückt werden soll. Natürlich geht es um einen, sagen wir mal, Mittdreißiger in der Mittdreißiger-Krise, vielleicht verkrachter Student, halb Künstler (er kennt immerhin den berühmten Schriftsteller D), der in den Tag hinein lebt und seltsame Verwicklungen und Abenteuer bestehen muss, vermutlich in einer Großstadt – man kann sich ruhig Wien vorstellen –, dabei aber nicht intellektuell überhöht leidet wie die anderen urbanen Mittdreißiger, die sich durch ihre Stadt schleppen wie verarmte Superhelden, traurig und eben von der Freundin verlassen. In Kleindiensts Friseuse weiß der Held um seine Vorliebe für Schleckeis und seinen Sinn für große Brüste. Aber alles ist ironisch, so möchte man es zumindest lesen.

Der Erzähler laviert in 619 kurzen Miniaturen zwischen Geldnot und halbstrengen Bankbeamtinnen (Frau Markesang wird umgehend zur Liebhaberin in Lederoutfit), seltsam harmlosen Aufträgen als eine Art Agent (Botenjunge statt Auftragskiller) und dem reichlich neurotischen Zwang, die eigene Umwelt aufs Genaueste zu beschreiben, sei es die Kassierin im Supermarkt, die eigene Pflanze, der man beim Wachsen zusieht, oder eine andere Alltäglichkeit. Notizen einer leicht zynischen Existenz: „00158 Nirgends ein Killer. Ich laufe und ich laufe und ich laufe. 00160 Vielleicht werde ich morgen in der Lotterie gewinnen. 00161 Vielleicht werde ich morgen eine Pflanze kaufen. 00162 Vielleicht werde ich morgen einen Orgasmus haben.“ (S. 41)

Kleindiensts Held erinnert ein wenig an Figuren von Nicolas Mahler, ein klein wenig. Er ist sympathisch, durchaus, und sehr skurril.
Dass es in An dem Tag, als ich meine Friseuse küsste, sind viele Vögel gestorben auch um geheimnisvolle Sonnenbrillen geht, die Affen geil machen sollen, damit das System gestürzt oder zumindest in Schwierigkeiten gebracht wird, erinnert an Sie leben, einen Film mit dem ehemaligen Wrestler Rowdy Roddy Piper, auch in der Friseuse ist alles ein wenig Science-Fiction und nicht ganz ernst.

Grenzen aufbrechen möchte Josef Kleindienst, irritieren, das hat der Teilnehmer am Ingeborg-Bachmann-Wettlesen 2010 in Interviews schon zugegeben. Mit seinem Prosadebüt gelingt ihm das gründlich, er bewahrt sich dabei aber auch einen abgründigen Humor, der einfach unterhaltsam zu lesen ist. Dass Josef Kleindienst einen bekannten Namen hat – Ähnlichkeiten zu noch lebenden Politikern sind weder gewollt noch erwünscht –, mag eine Anekdote sein, der Friseuse nimmt das nichts von ihrem erfrischen Charme.

Josef Kleindienst An dem Tag, als ich meine Friseuse küsste, sind viele Vögel gestorben
Prosatext.
Wien: Sonderzahl, 2010.
132 S.; brosch.
ISBN 978-3-85449-339-6.

Rezension vom 12.09.2010

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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