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An deiner Stelle

Klaus Ratschiller

// Rezension von Elisabeth Hemelmayr

Insistieren heißt beharren, an etwas festhalten. Seine Kraft auf eine Sache richten, auf ein Ziel konzentrieren und nicht davon abrücken. Was Ausdauer und einem Maß an Durchsetzungskraft und Eigensinn bedarf, aber auch auf Kosten einer gewissen Wendigkeit und Beweglichkeit gehen kann. Jakob, der Protagonist in Klaus Ratschillers Debütroman, ist um die 50 und hat fast sein halbes Leben damit zugebracht, die Ideen anderer in die richtigen Worte zu verpacken und in die entsprechenden Sätze zu passen.

Jakob ist Lektor und verfasst nebenher seit seiner Studentenzeit wissenschaftliche Arbeiten für andere – die es sich leisten können. In seiner Bibliothek, die sich aus Diebesgut einiger Jahrzehnte zusammengefügt hat, wirkt er wie in ein Schattendasein gerückt, und oft scheint es ihm selbst bei Zusammenkünften mit Freunden und Weggefährten, als sei er „ein Unfähiger, einer, der sich ohne Aufenthaltsbewilligung unter Lebendige schwindelt. Ein Gespenst.“

Seit einem gescheiterten Selbstversuch als Autor leckt er seine Wunden und scheint sich mit diesem Leben arrangiert zu haben. Die Erinnerungen an vergangene Lieben, verstorbene Freunde, die vielen Sommer auf einer griechischen Insel, beschreibt er lebendig und wehmütig. Er selbst ist genügsam geworden, die Nähe seiner Freunde reicht ihm. Und ab und zu die Haut einer Frau.

„[…] dass er sich an die Rolle des regungslosen und unsichtbaren Dritten gewöhnt hatte und seine Erstarrung nicht mehr lösen konnte“, wird ihm bewusst, als die knapp 20 Jahre jüngere Agnes Sternfeld, die Enkelin seiner verstorbenen Nachbarin, in die geerbte Wohnung zurückkehrt und er sich bald mit ihr und einem anderen Mann in einem „nicht leicht zu klassifizierende[n] Dreieck“ befindet. Agnes hat sich einer Gruppe mit dem Namen „Insistenz“ angeschlossen, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, „die existenzielle Beharrlichkeit“ der Menschen zu dokumentieren. Im Zusammensein mit ihr wird für ihn bald deutlich, dass es Zeit ist, alte Glaubenssätze zu hinterfragen und die eigene Lebendigkeit wiederzufinden – so endet der erste Teil des dreiteiligen Romans, „Nachbarn“.

„Er führte ein Doppelleben. Hinter der Maske des Dieners lauerte ein ganz anderes Tier, ein schreibendes, das sich in den letzten Winkel verzogen hatte, um nicht noch einmal beginnen zu müssen. Aus nackter Angst, noch einmal die irrwitzige Hoffnung in sich aufsteigen zu fühlen, die mit jedem Schreiben verbunden ist.“

Jakob erinnert nicht von Ungefähr an M aus Ratschillers Novelle Kollege M, die im Dezember 2009 ebenfalls in der Edition Atelier erschienen ist. Während Agnes den Sommer mit dem anderen Mann auf einer Alm zubringt, wird es für ihn Zeit aufzubrechen. Er beginnt für Agnes seine Geschichten zu erzählen und sie für ihr Projekt auf Tonbändern aufzuzeichnen. In 91 „Tracks“, dem zweiten und mächtigsten Teil des Romans, versucht Jakob sich nicht nur Agnes zu öffnen: Er zieht damit gleichsam auch persönlich Bilanz über sein bisheriges Leben. „Die Bilder, die er sich gemacht hatte, endeten folgenlos in ihm selbst und verblassten allmählich.”

Das ist ab diesem Zeitpunkt vorbei. Durch Jakobs Aufbruch ins Leben zurück erhalten die Bilder endlich ihre Kraft und Wirkung und veranlassen ihn zu einer langen Reise. Der dritte Teil des Romans, „Nachkommen“, spielt in Jakobs Abwesenheit und erzählt Agnes Leben beziehungsweise das ihrer, der nächsten Generation weiter.

Klaus Ratschiller ist ein dichter und intensiver Roman gelungen, der den Autor als genauen Beobachter und sensiblen Erzähler zeigt, dem es durch Jakobs Geschichte gelingt, ein vielschichtiges Porträt einer ganzen Generation zu zeichnen: nachdenklich, ehrlich und vor allem ohne falsches Selbstmitleid.

An deiner Stelle.
Roman.
Wien: edition atelier, 2012.
416 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-902498-30-4.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autorin

 

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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