#Roman

Amerika

Martin Kubaczek

// Rezension von Helmut Sturm

Seit Charles Sealsfield über die Pärie schrieb, scheinen die meisten österreichischen Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die sich einmal in den USA aufhielten, unter dem Zwang zu stehen, ein Buch über ihre Erfahrungen zu veröffentlichen. (Meist tragen diese Bücher im Titel die ungenaue Bezeichnung „Amerika“ für die „USA“.) Allein in den letzten zehn Jahren sind das Josef Haslinger („Das Elend Amerikas“), Christine Haidegger („Amerikanische Verwunderung“) und Reinhard P. Gruber („Einmal Amerika und zurück“).

Neben solch „richtigen“ „Amerika“-Büchern gibt es die große Zahl der Texte, deren Heldin oder Held sich irgendwie nach den US of America sehnt, wünscht, oder sich auch nur auf Grund irgendwelcher beruflicher oder persönlicher Umstände dorthin verirrt. Peter Handke lässt ein paar Jahre nach „Der kurze Brief zum langen Abschied“ die „Langsame Heimkehr“ in Alaska beginnen; „In fremden Städten“ der Linzerin Waltraud Anna Mitgutsch verlässt eine Frau nach sechzehn Jahren Ehe ihre Kinder und ihren Tiroler Mann und kehrt nach New England zurück; Peter Henisch dockt zunächst in Amerika zwar nicht an, ist aber in „Vom Wunsch, Indianer zu werden“ auf dem richtigen Dampfer, mit dem er in „Schwarzer Peter“ auch in New Orleans ankommt; Ingeborg Bachmann hat ihren guten Gott in Manhattan gefunden und Michael Scharang schließlich geht aufs Ganze: „Auf nach Amerika“. (Die Liste ließe sich beinahe beliebig verlängern mit Peter Stephan Jungk, Marlene Streeruwitz, Sabine Scholl, …)

Nach Sibylle Berg (1999) hat jetzt Martin Kubaczek einen Roman unter dem Titel „Amerika“ publiziert. Hier geht es um das letztgenannte Buch, das mit einem Zitat von Joe Zawinul als Motto einsetzt: „Be happy, but dont‘ be satisfied“. Vorweg ist damit bereits gesagt, wie das Buch des Wiener Musikers und Germanisten bei mir angekommen ist. Das Buch hat enorme Stärken und wenige irritierende Schwächen.

Zu den Stärken: Kubaczeks Roman hebt sich deutlich ab von der gängigen Krimi-Schreiberei, beschreibt aus verschiedenen Perspektiven, erzählt nicht durchgängig linear-chronologisch, zeichnet sich durch eine exzellente Schnitttechnik aus. Der Ton der Personen ist sicher getroffen, selbst die Zitate, die amerikanischen O-Ton vermitteln, sind überzeugend. Kubaczek ist augenscheinlich ein Mensch, der genau zuhören kann und dann auch weiß, wie er das Gehörte widerzugeben hat. In gewisser Hinsicht ist das meiner Meinung nach das Buch, das sprachlich die Generation der etwa 40 Jährigen, sofern diese für Kunst (speziell Musik) zugänglich sind, am genauesten beschreibt.

„Amerika“ ist freilich nicht ein Buch über Amerika, auch nicht über die USA, sondern ein Beziehungs- und Künstlerroman, dessen Hauptakteure aus Österreich (Theo) beziehungsweise aus den Vereinigten Staaten (Lynn) kommen. Es handelt sich um einen spannenden Versuch sich über Liebe klar zu werden. Zumeist geschieht dies in Gesprächen zwischen Theo und Lynn, oft hat Theo allerdings auch andere Gesprächspartner: Rena und Joe, mit denen er einen Ausflug in die Steiermark macht, Rene, den Laufpartner und Ismail, mit dem Theo musiziert. Kubaczek ist ein Autor, der etwas von dem versteht, was seine Romanfiguren reden. Es fasziniert, wie es ihm gelingt, die Berührungspunkte der Diskurse über Liebe, Musik und Laufen vorzuführen. Selbst über das Schreiben äußert er sich, indem die verschiedenen Ebenen sich mischen: „Sicher kann man auch einmal etwas glatt runter erzählen. Ich schließe das nicht aus. Es kann durchaus einmal eine Linie brauchen, die ihre Richtigkeit hat. Das kann schön sein. Wie ein Wiegenlied. Eine Örtlichkeit. Aber da braucht es rundum die zerbrochene Welt.“

Ein Strang erzählt die Erfahrungen eines Besuches in der Heimat Lynns. Lynn stammt aus dem Südosten der USA und fast alle Beobachtungen, die Kubaczek vermittelt, beziehen sich auf diesen Teil der Vereinigten Staaten von Amerika. Ich selbst habe acht Jahre in den USA gelebt und kann die Treffsicherheit der Beschreibungen nur bestaunen. Schade allerdings, dass die Beobachtungen in Texas und New Mexico ohne Weiteres stillschweigend auf das gesamte Land (im Titel sogar auf den Kontinent) übertragen werden. Es mag ja stimmen, dass in gewisser Weise die USA ein für europäische Verhältnisse ungewöhnlich reguliertes Land sind, aber diese Einheitlichkeit wird selbst von ihren zumeist republikanischen Vermittlern nur erträumt.

Ich glaube, dass Amerika von Martin Kubaczek ein wichtiges Buch ist, an dem auch das Verhältnis vieler Österreicher zu diesem Teil der Welt gut abzulesen ist. Ich spüre Bewunderung, Ablehnung, großes Interesse, Staunen; es sind zumeist ambivalente Gefühle. Ähnlich verhält es sich übrigens mit der Beziehung zwischen Theo und Lynn, die geprägt ist zwischen Spannung und Anziehung.

Wenig überzeugend wird der Ausgang der Geschichte vorbereitet. Das Ende wirkt etwas aufgesetzt. Wirklich schockierend können auf manche Leserinnen und Leser die geschilderten Reaktionen auf die Ereignisse vom 11. September 2001 wirken. Hier kann die Tendenz zur Verallgemeinerung nicht nur nicht überzeugen, sondern hinterlässt einen unbefriedigenden Geschmack.

Höchst aufschlussreich wäre es, die Amerika-Erfahrung in Kubaczeks Roman mit der im oben erwähnten Buch von Waltraud Anna Mitgutsch zu vergleichen. Mitgutschs Buch, das auch in der Thematik interessante Gemeinsamkeiten aufweist, könnte eine feminstisch-amerikanophile Perspektive beisteuern. Vielleicht braucht’s das, to be happy all the way?

Martin Kubaczek Amerika
Roman.
Wien, Bozen: folio, 2002.
224 S.; geb.
ISBN 3-85256-222-8.

Rezension vom 16.12.2002

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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