#Lyrik

American apocalypse

Isabella Feimer

// Rezension von Paula Resch

barfuß auf kaltem Sand

American apocalypse ist ein sehr ungewöhnlicher Gedichtband, da wir es mit einem Gemeinschaftsband von Isabella Feimer (Gedichte) und Manfred Poor (Fotografien) zu tun haben. Besonders ist der Band durch das Miteinander von Bild und Text, die nicht nebeneinander herlaufen, sondern ineinander geschichtet und verzahnt und damit auch nicht mehr auseinanderdividierbar sind.

Es ist nicht die erste Zusammenarbeit der beiden, auch im letzten Gedichtband von Isabella Feimer, Tiefschwarz zu unsichtbar (2017), sind Fotografien von Manfred Poor enthalten, allerdings mit nur zehn Stück doch wesentlich weniger als in American apocalypse, mit dem wir praktisch einen Fotoband vor uns haben, der von Gedichten begleitet wird. Isabella Feimer und Manfred Poor nehmen uns darin in Wort und Bild mit auf ihren gemeinsamen Roadtrip durch beide Amerikas:

wir folgen dem Licht
das die Scheinwerfer auf den Asphalt zeichnen
sich um Königspalmen schlingt
und die Dunkelheit berührt als wäre sie ein Körper
nach dem man sich verzehrt

Isabella Feimer erzählte selbst bei einer Lesung, dass Manfred Poor für das Buch erst die Fotos gemeinsamer Reisen ausgewählt und sie daraufhin zu den jeweiligen Bildern nachträglich Gedichte geschrieben habe. Unterwegs wären nur wenige Notizen entstanden. Diese sehr starke Ausrichtung der Gedichte auf die Bilder merkt man ihnen auch an. Interessant ist, dass die Gedichte ganz anders wirken, je nachdem, ob man sie von Isabelle Feimer gelesen hört, oder ob man das Buch für sich selbst liest. Denn im Buch sind die Bilder irgendwie lauter, lenken die Aufmerksamkeit auf sich. Der Band enthält sehr viele sehr schöne und eindrückliche Fotos, manchmal halbseitig, oft auch doppelseitig. Die Gedichte richten sich in der Art, wo und wie sie gesetzt sind, und auch in der Schriftfarbe nach den Fotos. Oft werden die Texte direkt in die Fotos platziert, bei einem dunklen Hintergrund in weißer Schrift. Das sieht optisch sehr schön aus. Aber da es zusätzlich auch noch handschriftliche Passagen gibt, die schwungvoll in die Fotos hinein geschrieben sind, und die man erst entziffern muss, wird damit das konzentrierte Lesen etwas erschwert, oder verlangsamt, was durchaus Absicht sein kann. So beginnen zwei über Sanddünen gesetzte Gedichte vor uns wie eine Fata Morgana zu flimmern. Und auch die handschriftlichen Einwürfe, manchmal auch ganze Gedichte, meist auf Englisch, treten uns zunächst als (Schrift-)Bild entgegen, das wir erst entziffern müssen, was sich immer lohnt, weil gerade diese handschriftlichen Einwürfe flüchtige Essenzen sind, eingefangen wie der Moment von einer Skizze. „a whisper on / both sides oft he road“

Die Fotos von Manfred Poor sind großartig und auch das Zusammenspiel von Gedichten und Fotos ist sehr gelungen und spannend. Auf den rund 170 Seiten gibt es keine leeren Seiten und auch keinen rein weißen Hintergrund, sondern zumindest eine ganz fein strukturierte Helle – rosa-, blau-, oder grünstichig. Manchmal ist hinter den Gedichten ohne Foto auch leicht oder stark zerknittertes Papier zu sehen, oder es gibt Brandflecken im Hintergrund, oder jemand hat mitten aufs Gedicht ein Kaffeehäferl gestellt, was zu einem halbrunden braunen Fleck geführt hat. Man wird einfach immer durch irgendetwas von den Gedichten abgelenkt und vielleicht haben es Isabella Feimer und Manfred Poor auch genau darauf angelegt, in uns dieses Gefühl zu erzeugen. Denn ihre Reisen sind Roadtrips durch beide Amerikas, ihre Gedichte und Fotos eine Essenz des rast- und ruhelosen Unterwegsseins. Ist man auf Reisen, kann es passieren, dass die vielen neuen Eindrücke und Erlebnisse einen schlichtweg überwältigen. Diese Empfindung haben Isabella Feimer und Manfred Poor in Buchform gefasst, weil es eben genau um diese permanente Reizüberflutung und das ständige Unterwegssein geht. Das komplette Gegenteil wäre ein komprimierter Band wie Tucsonics von Judith Nika Pfeifer (hochroth), der sich auf wenigen Seiten ganz einem einzigen Ort (Tucson) verschreibt. In American apocalypse jedoch sind wir permanent unterwegs und alle paar Seiten anderswo, sodass man fast schon eine Landkarte neben das Buch legen möchte, um die Reiserouten genau nachzuverfolgen. Denn jedem Gedicht ist ein Ort zugewiesen, wie beispielsweise das „Museum of Ice Cream, San Francisco“, oft werden aber auch nur Straßen oder Highways genannt, was das Gefühl des ununterbrochenen Unterwegsseins noch mehr verstärkt: „Dirt Road zwischen Farmington & Santa Fe, New Mexico“, oder „Top of the World Highway, Yukon Territory“.

Das Amerika, das uns beide näher bringen, ist zum einen eine glitzernde, rosarote, in Zuckerwatte gehüllte und in all ihrem Kitsch unheimlich faszinierende Kunstwelt, in der nicht einmal mehr die Schokolade echt ist:

falscher
falscher Glitzer
sagst du mit einem Leuchten in den Augen

Gleich neben dieser glitzernden Kunstwelt ist jedoch eine leicht zu übersehende Parallelwelt größter Armut zu finden:

da ist diese Frau in Lumpen gekleidet
sie tanzt vor einer shopping mall

Dieses Nebeneinander findet sich nicht nur in den Gedichten, sondern wird auch in einem Foto auf den Punkt gebracht. Normalerweise zeigen die Fotos menschenleere Landschaften, ein gestrandetes Boot im Nirgendwo, Farben oder Details. Dann gibt es da aber auch eines, auf dem ein farbenfrohes Wandgraffiti einer Luxuslimousine zu sehen ist, vor der ein großer Mistkübel steht, der Eigentum der Stadt ist und auf dem, falls er verloren gehen sollte, eine Telefonnummer zu lesen ist. Rechts daneben, beinahe zu übersehen, liegt ein dunkles Bündel an die Wand gedrückt, das gewissermaßen vom linken Vorderreifen der Graffiti-Limousine auf der Wand dahinter überrollt wird. Aus dem dunklen, zusammengekauerten Bündel schauen zwei Füße heraus. Wir haben es mit einem Menschen zu tun, was man aber erst nach eingehender Betrachtung des Fotos erkennt.

Isabella Feimer und Manfred Poor zieht es auf ihren Reisen durch beide Amerikas vorwiegend an menschenverlassene Orte, Verfall und Einsamkeit üben eine ebenso große Faszination auf sie aus wie falscher Glitzer. Es gibt daher gleich mehrere Gedichte zu „ghost towns“, Fotos einzelner Häuser, oder von Gerümpel oder einem Hausdach in weiter Landschaft. Der Titel American apocalypse in Verbindung mit den Fotos eines nahezu menschenleeren Amerikas lassen einen dystopischen Gedichtband erwarten. Aber Isabella Feimer bringt in ihren Texten Menschen und damit Leben in den Band. Einerseits, da jedem Reiseabschnitt ein Zitat von Beatpoet/inn/en, und im Falle von Mexiko eines von Frida Kahlo vorangestellt wird. Damit stellt sich Isabella Feimer mit ihren Gedichten sehr selbstbewusst in eine lange Tradition, zum anderen wird der Band dadurch sehr vielstimmig und mehrsprachig, weil eben sehr viele unterschiedliche Stimmen in Zitaten auf Englisch zu Wort kommen dürfen. Und dann sind viele Gedichte auch Widmungsgedichte, was immer in Klammern vermerkt ist, und wodurch der Band voller Menschen ist. Und während die Fotos diesen Menschen quasi den Rücken zuwenden und lieber die Leere fokussieren, richten die Gedichte manchmal schon den Blick auf einzelne Personen, um mit Sprache ein Foto zu schießen und einen kurzen Moment einzufangen und uns damit zu zeigen, was auf den Fotos nicht zu sehen ist:

wie sie sich über den Holzbalken lehnt
wie ich zu ihr hinauf sehe
und mich in ihrem Blick umarmt finde
wie hinter ihr Purpurrauch den Himmel verdeckt
wie ich diesen Moment festhalten möchte

Um Menschen geht es auch deswegen, weil viele Gedichte Selbsterkundungen eines Ichs und eines Wir sind. Auch wenn der Titel American apocalypse anderes nahelegt, geht es eigentlich um das gemeinsame Unterwegssein und die stille Geborgenheit, die in der Zweisamkeit im Nirgendwo liegt:

der Himmel rechts ist deiner
der Himmel links gehört mir
den Wind teilen wir uns
auch das Schweigen
dessen Unterton von Leichtigkeit mich irritiert
ich verstehe
dass
ist man lange unterwegs
dieses Schweigen Atem ist

Denn alleine wären diese Reisen so nicht möglich, wären andere Reisen, einsam, farblos und um vieles ärmer:

ohne dich wäre jede Straße
die wir fahren
nur Staub und Asphalt
und keine Geschichte
kein Kojote
der im feuchten Sand
mit seinen Tatzen nach Krebsen gräbt

Vielleicht gerade um der „American apocalypse“ zu entkommen, zieht es die beiden an entlegene Orte im Nirgendwo und, „barfuß auf kaltem Sand“, auch immer wieder ans Meer:

meine Sehnsucht ist der Dunst
der über den Wellen schwebt
wenn sie den Strand erreichen

Und es zieht sie in die Natur, die sie in ihrer idyllischen Unberührtheit fast schon als „American utopia“ erfahren:

Waldlilien
Nachtkerzengewächse
Fichten in ihren Kronen miteinander verwachsen
rahmen den Weg
und meine Schritte lassen Kieselsteine springen

American apocalypse ist damit keineswegs ein dystopischer Gedichtband, sondern bei aufmerksamer Lektüre ein durchaus positiver, lebensbejahender. Der Blick auf die Amerikas ist einer aus großen, staunenden Augen, der selbst im Verfall Schönheit erkennt und der jeden Moment mit etwas wunderbar Unerwartetem rechnet, wie damit, dass kein einsamer Cowboy Richtung Horizont reitet, sondern eine Wüstenschildköte vorbeirast:

ich warte auf eine Wüstenschildkröte
darauf
dass sie Staub aufwirbelt
pfeilschnell zwischen den Chollakakteen hindurch
/ in Richtung Horizont

Isabella Feimer American apocalypse
Gedichte und Fotografien.
Mit zahlreichen Fotografien von Manfred Poor.
Innsbruck, Wien: Limbus, 2021.
176 S.; geb.
ISBN 978-3-99039-198-3.

Rezension vom 21.04.2021

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.