#Roman
#Debüt

Ameisenmonarchie

Romina Pleschko

// Rezension von Spunk Seipel

Ein gewöhnliches Wiener Zinshaus mit einem Ameisenhaufen zu vergleichen wirkt auf den ersten Blick vermessen, wenn man an die wimmelnden Insekten denkt. Doch Romina Pleschko geht es in ihrem Romandebüt nicht um die unübersichtliche Masse, sondern um die Beschreibung von Sozialstrukturen und Verhaltensweisen von Menschen, wie sie auch bei Ameisen vorkommen.

Auf den ersten Blick scheint Pleschko eher profane Alltagsgeschichten von Menschen zu beschreiben, die zufälligerweise im selben Haus wohnen. Sie begegnen sich im Treppenhaus, lernen sich näher kennen, manche von ihnen verbringen auch einige Zeit intensiv miteinander. Aber die meisten Beziehungen sind nicht stabil, nicht einmal in den Familien. Die desillusionierten Menschen in diesem Haus suchen ihre Sozialkontakte nach der Funktion aus, nicht nach ihren Gefühlen, und brechen die Bekanntschaft ab, wenn der andere seinen Zweck nicht mehr erfüllt.
Dabei wirken die Bewohner teilweise wie aus der Zeit gefallen. Die Frauen suchen nach einem Mann, der ihnen Alltagsprobleme, Beruf und Geldsorgen abnimmt. Eigene Bedürfnisse und Überzeugungen stellen sie für diese Absicherung weit zurück. Lieber verstummen sie, als dass sie sich einen eigenen Weg suchen. Hier werden überholte Frauenrollen fraglos zum eigenen Nutzen übernommen. Jede Selbstverwirklichung wirkt auf die Frauen als schlechtere Alternative, die Angst macht.
Ein anderer Bewohner verheimlicht gegenüber seinen Eltern seine Homosexualität und tritt ohne jegliches Interesse beruflich in die Fußstapfen des Vaters, eines Gynäkologen, weil das so von ihm erwartet wird. In der Praxis wird er von den Sprechstundenhelferinnen verachtet und er rächt sich an den Patientinnen durch lieblose, teils schmerzhafte Eingriffe, anstatt den Beruf aufzugeben.
Ein ultrarechter Politiker reiht seine privaten Bedürfnisse zugunsten einer Karriere nach hinten. Für den bürgerlichen Schein verzichtet er auf Liebe und heiratet eine Vorzeigefrau, um alle gesellschaftlichen Konventionen zu erfüllen.
Niemand dieser Hausbewohner gesteht sich selbst große Träume zu. Keiner wagt es, aus der Routine und aus dem von der Gesellschaft für ihn vorgesehenen Lebenslauf auszubrechen. Es interessiert sich auch keiner für die Probleme seines Partners, des Kindes oder der Nachbarin. Es ist ein tristes Leben, wenngleich es niemanden an materiellen Dingen mangelt. Erfüllt man, als Mann, seine Funktion nicht, weil man alt oder schwach ist, wird man getötet. Mitleid wird niemand bekommen, sondern den Tod für eigene Zwecke ausnutzen.

Menschen in einem Haus zu beschreiben, die nur durch die Wohnlage miteinander verbunden sind, ist ein gängiges Genre in der Literatur. Doch Romina Pleschko wiederholt in ihrem Buch nicht einfach das übliche Kaleidoskop der Schicksale, um sich daran zu ergötzen. Dazu ist ihr Roman zu raffiniert konstruiert. Sie beschreibt auch Details und Nebensächlichkeiten, die dem Leser die Figuren ihres Romans näher bringen, und spielt gekonnt mit billigen Klischees. Sie bringt uns diese ‚Verlierer‘ menschlich auf eine fast zynische Art nahe, ohne dass wir beim Lesen sofort merken, auf was für ein Konstrukt wir uns hier eingelassen haben.
Pleschko gelingt es, durch die Analogie zu einem Ameisenstaat, der nur im Titel erwähnt wird, eine alte philosophische Frage neu zu stellen: Handeln wir nach einem freien Willen? In diesem Buch werden nicht Tiere vermenschlicht, sondern das Handeln der Menschen mit dem Verhalten von Insekten gleichgestellt. Eine diskussionswürdige Sichtweise auf die Gesellschaft. Auf diese Weise wird aus der wehrlosen, passiven Hausfrau, die sich nicht anders gegen den selbstgefälligen Ehemann zu wehren weiß, als zu verstummen, eine aktive, skrupellose, nur auf ihren Vorteil bedachte Frau oder eben eine Ameisenkönigin. Das Desinteresse an den eigenen Kindern wird so zum natürlichem Verhalten statt zum psychischen Defekt. Man muss dieser Sichtweise auf die Gesellschaft nicht zustimmen und man kann die Geschichten auch ganz anders deuten, wenn man den Titel des Buches ignoriert. Diese Mehrdeutigkeit ist eine besondere Klasse der Autorin.

Der genau beobachtende Blick auf Menschen, die aufgrund ihrer Gewöhnlichkeit eher selten im literarischen Mittelpunkt von Romanen stehen, und der lockere Schreibstil machen weitere Qualitäten dieses Buches aus. Die Sprengkraft des Textes aber steckt in der Analogie zu einem Ameisenstaat, in dem alle biologisch funktionieren. Pleschko hat damit ein Buch geschrieben, das für Diskussionsstoff sorgt. Man sollte auf ihr weiteren Arbeiten gespannt sein.

Romina Pleschko Ameisenmonarchie
Roman.
Wien: Kremayr & Scheriau, 2020.
208 S.; geb.
ISBN 9783218012706.

Rezension vom 03.03.2021

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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