Letztere ist seine Freundin, sieht nicht nur sehr gut aus und hat eine tolle Figur; sie trägt auch noch Designersachen und besucht gerne Clubbings, während Paul lieber zuhause bei seiner Musik und seinen Büchern bleibt.
Die beiden leben in unterschiedlichen Welten, kommen aber ohne viel Reden gut miteinander aus. Sie lässt ihm „alle Zeit der Welt für seine Lieblingsbeschäftigungen“; und er denkt sowieso nicht daran, ihren „etwas überzogenen elitären Ansprüchen gerecht zu werden“. Überhaupt ist Paul noch gar „nicht bereit für eine ernsthafte Beziehung“, konzentriert er sich doch mehr auf exzessives Musikhören und Lesen. So fällt es ihm gar nicht auf, dass sich Stephanie für einen seiner Freunde interessiert. Als sie am Samstagmorgen ihre Sachen packt und aus seinem Leben verschwindet, folgt auf das vermeintlich so perfekte Arrangement eine Katerstimmung. Paul fühlt sich „armselig und verlassen“.
Und als er dann noch von seinem Chef zu hören bekommt, dass angesichts der angespannten wirtschaftlichen Situation, die gerade im Buchhandel massiv zu spüren ist, keine Chance besteht, den Laden weiter zu führen, versinkt er völlig in Selbstmitleid. Igelt sich zuhause ein. Trinkt viel zu viel. Denkt an Kündigung. Raucht Kette und startet schließlich ein als „Gute-Laune-CD“-Programm deklariertes Dauermusikhören. Das versetzt seiner Gemütsstimmung zwar keinen positiven Ruck, macht die Leser/inne/n aber auf einige große Leckerbissen des Jazz wie „Doo Bop“ von Miles Davis, „Sonny’s Crib“ von Sonny Clark, „Live in Montreux“ von LesMcCann oder „Ballads for Bass Clarinet“ von David Murray aufmerksam.
Paul selbst ist viel zu wütend, um die therapeutische Kraft dieser Alben gewinnbringend in sich verarbeiten zu können. Zu fest hat sich die Angst vor der Zukunft, ja die Angst, „den Boden unter den Füßen zu verlieren“, in ihm eingenistet. Wut, Kummer und Selbstmitleid vermengen sich „zu einem umfassenden Weltschmerz“. Dass der kein probates Mittel ist, mit dem sich ernsthaft Zukunftsgestaltung betreiben ließe, versucht ihm seine frühere Freundin, die Journalistin Klarissa, welche ihm nach Stephanies Abgang wieder näher kommt, schonend beizubringen. Doch Paul ist in Trübsinn und düsteren Gedanken gefangen und stemmt sich, weil er alles komplizierter sieht als es ist, gegen jede Form der Veränderung. Er steuert unweigerlich auf den Tiefpunkt zu. Und dort gibt es nur noch eins: hopp oder drop. Dementsprechend überschlagen sich die Ereignisse.
Die Autorin beschreibt diese Wandlung ihres Helden mit psychologischem Gespür und kaptiver Lakonik. Sie veranschaulicht, geht ins Detail und hält dabei die männliche Perspektive rigoros durch. Heraus kommt der Roman einer Persönlichkeitsentwicklung vom in den Tag hineinlebenden Jazzfreak und Lesesüchtigen zum Verantwortung übernehmenden Erwachsenen.
Den Prozess der Selbstfindung schildert Karoline Cvancara lebendig und nachvollziehbar. Mit viel Empathie schafft sie es, Pauls Denkwelt und seinen inneren Kampf zu veranschaulichen, ohne dabei in artifizielle Töne zu verfallen. Am Tiefpunkt genial entpuppt sich als flüssig zu lesendes Protokoll einer männlichen Psyche. Ein Kammerspiel, das Aufmerksamkeit verdient.