#Prosa

Am Schreibplatz

Julian Schutting

// Rezension von Martin Kubaczek

Der Eremit in der Mansarde, der Schreibplatz als Warte, Türmerstube, der Autor als Observateur am Fensterplatz, der seinen Blick über die Baumkronen streifen lässt und „Himmelskärtchen“ malt, wie sonst nur Constable, beglückt von „Wolkenmeeren und Wolkenriffen“, so zeigt sich der „Mondschreiber“ Schutting hier. Sein Turm- und Fensterblick hat Tradition: Goethes Türmer aus dem Faust, E.T.A. Hofmanns Erzählung vom „Vetter am Eckfenster“, die Genremalereien des Biedermeier bis hin zu Hitchcocks Rear Window zeigen den Beobachter am Fenster an der Schnittstelle von Wahrnehmung und Vorstellungswelt. Mondsichel, Baukranschild, trocknende Militärsocken am Vordach in der Sonne, alles kann dabei Impuls sein, mittels Versprachlichung wird es ins Bewusstsein gehoben, poetisiert und rhythmisiert, geht aus der Prosa in lyrische Verdichtung über.

Der Blickwechsel zwischen Papier und Himmel ist ständiges Projekt, verbindet über Auge, Ohr und Schreibhand hin zum Papier, der Dichter ist Verwandler, der die Sinneswelt in Zeichen abstrahiert und in Figur und Formulierungen fast kalligraphisch bindet, ist Katalysator und Alchemist zwischen Innen und Außen, um „aufschreibenswert Befundenes vom Hirn auf die Hand, mit der Hand aufs Papier zu übertragen“. Berückend, wie Schutting dabei seine Bilder in eine „schwebende, selbst eine federnde Sprache“ setzt, mit der er fast tänzerisch seinen Text choreographiert aus unterschiedlichen Elementen, die sowohl auf seine Poetologie reflektieren wie frühe eigene Gedichte interpretieren, Kleist extemporieren und eine veritable Instruktion in Creative Writing von Schuttings Gastdozentur an der Wiener „Schule für Dichtung“ wiedergeben.

Eingebettet in den Sprachfluss finden sich Miniaturen, Meisterstücke der Beschreibungskunst: Falter und Insekten, die auf das Papier des Schreibenden gelockt werden, wenn das Papier nachts am offenen Fenster das Licht der kleinen Lampe reflektiert, und der Dichter das Getier auf seinem Blatt mit seinem Stift umkreist: „wer bist du, fremde Existenz? Hast du hier ein Wohlgefühl gefunden?“, oder der Reichtum der Bildkontexte, die Schutting anhand der Kringel aus dem Bleistiftspitzer entwickelt: das Spitzen der Bleistiftmine und das Messerschärfen des Metzgers, sein Tischspitzer als Fleischwolf, die Mine in der schützenden „Rinde“, das Spitzen als Schälen eines Apfels, die Holzröllchen als „Kringel, aus denen sich, sozusagen, deine Liebesgedichte schälen in die endlich gutgeheißene Form“, oder ein mit den Kringeln wie mit Laub gefüllter kleiner Polster mit „Buchenlaubgeraschel“: so driftet Schuttings imaginatives Bildverfahren durch das Vorstellungsvermögen, bis er unwillkürlich den zusammengespitzten Bleistift wie einen Zigarettenstummel im Aschenbecher abzutöten sucht.

Schutting schreibt „mit einem Raffinement, das nur manieristischer Literatur eignet“, wobei Manier für ihn mit Atem und Impuls zusammenhängt, aus der heraus er seine feine stilistische Zeichnung generiert, die sich nicht in Plots und Parallelfiguren rhetorisch auslagern will. Die namenlose Geliebte und Ersehnte wird zwar angerufen, bleibt aber vom sprachlichen Erfassungssystem respektvoll ausgespart; lieber beugt sich der Erzähler über das Papier, so wie zuvor über die Geliebte, um in der Sprache suchend das nach zu figurieren, was er bei ihr gefühlt haben mochte. Liegt der Fokus diesmal auf dem Schreibprozess, so finden sich doch auch alle die vertrauten Schutting-Themen wieder: die minnehaft besungene Liebe, der ausgreifende Wanderschritt, das kontrolliert ekstatische Musik-Erleben, die traumatisch erlebten Bilder der Nazidiktatur und der katholischen Jugendzeit. Alles das ist wieder da, aber gelassener und geweitet, in feiner Selbst-Ironie und mit Humor, so auch die mal witzigen, mal derben umgangssprachlichen Austriazismen, die der Autor ab und zu im Text platziert: mitten im „Feingliedrigen“ findet sich dann ein Ausdruck wie „schiefpappiges Fetzenlaberl“

Ein Absatz widmet sich Mauerseglern, Lichtphänomenen und seiner „Wahrnehmungsstille“, nur um dann mitten in die friedsame Berückung schockhaft eines der sprachlichen Gewaltbilder zu setzen, die sich immer wieder als irritierender Counterpart in diesem Text finden. Da ist vom „Aufschlitzen des Papiers mit dem Griffel“ die Rede, um „mit dem wie ein Messer angesetzten Schreibstift ins nackte Weiß hineinzufahren“; oder von Pilzsuchern, die „dem Waldboden die schützende Bauchdecke aufreißen, dem Mutterbauch Erde das Fell aufschlitzen“. „und sollten wir, um nicht in der Wirklichkeit gewalttätig zu werden, einzig dem Papier Gewalt antun, niederschießen und vergewaltigen nur auf ihm“?, fragt Schutting, und er hadert damit, „als ein Schreibender manchmal Seelenterror auszuüben, indem ich den Lesern Nuancen zumute, die nicht sein müßten“

Das Buch endet mit dem Verlassen des Schreibplatzes in der Mansarde zugunsten eines umbrischen Ansitzes in den Bergen bei Arezzo. Hier wird noch einmal das Bilder-Switchen sichtbar, wenn die Form der verdorrten Sonnenblumen auf dem Feld als Kinderkreuzzug und weiter als Pilgerschar imaginiert wird. Das Abstandnehmen kommt gleichermaßen in Schreiben, Stil und Gehen zum Ausdruck: „Großspurig ‚Gedankengänge‘ Genanntes in Gang zu bringen, das gelingt dir am ehesten im Gehen dank deiner Gangart“ – das ist Rückzug in Klangarbeit und Wortmusik, bei der der Dichter sich im Einklang weiß: „bin hier, um der Welt abhanden zu sein, mit mir eins im Ausharren vor beschriebenen und unbeschriebenen Blättern.“ Die Virtuosität der Bildvergleiche findet sich nochmals in der beiläufig-fulminanten Beschreibung von Pinienzapfen, und endet in Nacht- und Sternenbildern mit der Sehnsucht nach dem Figürlichen, das Schuttings Sprachkunst innewohnt.

Am Schreibplatz.
Salzburg, Wien: Jung und Jung, 2010.
253 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-902497-68-8.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 22.03.2010

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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