#Prosa

Alte Schachteln

Marlene Faro

// Rezension von Daniela Völker

Alte Schachteln, das sind die Erzählerinnen aus dem gleichnamigen Erzählband nicht wirklich. Emanzipiert haben sie ihr Leben in die Hand genommen und legen nun eine Zwischenstation ein, um nachzudenken und zu resümieren.
Immer wieder spielt dabei das Alter eine Rolle, der Vergleich mit jüngeren Frauen und die Frage, ob man sein bisheriges Leben auch richtig gelebt habe.

Da ist zum einen Paola, eine verheiratete Frau, die sich auf dem Rückflug aus den Vereinigten Staaten befindet. Immer wieder malt sie sich aus, wie die Wiederbegegnung mit ihrem Mann verlaufen wird. Ihre Ehe bestand in den letzten Jahren nur noch auf dem Papier. Die Liebe ist der Trägheit gewichen. Es interessiert sie nicht einmal, ob ihr Mann sie betrügt. „Wenn ich an all den Aufwand denke, den man da treiben muss, die Sakkotaschen durchsuchen, jeden Zettel kontrollieren, vor dem Büro lauern und dann so tun, als ob man gerade zufällig vorbeigekommen wäre, also nein, da gönn ich dem Anton ehrlich ein Techtelmechtel, soll sich doch irgend so eine Jennifer mit seinem steifen Lendenwirbel herumplagen.“ Dennoch spielt er in ihrem Leben nach wie vor eine Rolle, wie sie sich eingestehen muss. Sie kann nicht einfach aus dieser Ehe fliehen, in der sich beide doch recht „komfortabel“ eingerichtet haben. Und als sich die beiden am Flughafen wieder begegnen, sorgt eine „absurde“, nichtige Gemeinsamkeit dafür, dass Paola wieder weiß, wo ihr Platz ist.

Johanna trifft nach vielen Jahren ihre Jugendliebe Jakob wieder. Die Liebe ging damals schief, weil Johanna nicht aus den entsprechenden gesellschaftlichen Kreisen kam – Jakob heiratete eine andere. In dem Bewusstsein, Jakob gehöre dem jüdischen Glauben an, wie er früher immer wieder betonte, fragt ihn Johanna nach einer Nebensächlichkeit, die Jakobs wahren Charakter enthüllt: Jakob ist in Wirklichkeit kein Jude, aber damals nach dem Weltkrieg kam das Jude-sein ihm gelegen, „weil das diesen ganzen Schnöseln damals imponiert hat mit ihren Nazivätern. Für die war er richtig exotisch … heutzutage würde man wahrscheinlich Quotenjud sagen.“ Sich lächerlich vorkommend sitzt sie im Café und erlebt die Verschwendung ihrer Gefühle und das in sich Zusammenfallen eines allzu schönen Mannsbildes.

Den größten Raum im Erzählband Alte Schachteln nimmt die gleichnamige Erzählung ein. Erzählt wird der Alltag von Alma, der sich zwischen Fernsehen und Fitnessstudio abspielt: „Als die ersten Bomben auf Bagdad fielen, saß ich gerade auf dem Cardio-Fitnessrad, trat in die Pedale wie eine Verrückte, und mein Puls betrug 147 Schläge in der Minute.“ Almas Gedanken kreisen um die politische Situation in der Welt, das Demokratiebewusstsein, die Außenpolitik der USA … aber auch um nichtigere Dinge wie das Absaugen von Fett, das Wesen von Beziehungen oder die Modetrends der kommenden Saison. Dabei steht sich die Protagonistin mit ihrem Alter oft selbst im Weg: Für die einen Dinge im Leben ist sie, die Achtundsechzigerin, ihrer Meinung nach mittlerweile zu alt (beispielsweise für die Teilnahme an Demonstrationen), für andere dann wiederum zu jung. „Vierzig erscheint mittlerweile wie die äußerste Schallmauer, die gehalten werden muss wie dereinst ein Fort im Wilden Westen gegen die Komanchen“.
Es ist „in“, geschieden zu sein und geheimnisvolle Fernbeziehungen zu führen, die wenig in den Alltag und das wirkliche Leben eingreifen. Kann sich die Protagonistin als vorgebliche „Karrierefrau“ auch gar nicht leisten. Doch am Ende bleibt für Alma bei einem Gin Tonic nur die Frage, was eigentlich aus den Träumen und Wünschen der Jugend geworden ist – und ab wann was schief gelaufen ist.

So sind die Frauen in dem Erzählband von Marlene Faro einmal weniger glücklich, dann wieder ein bisschen mehr. Unterhaltsam und lebendig lesen sich die Erzählungen, deren Protagonistinnen mitten im Leben stehen und die alle eine Beziehung zur Stadt Wien haben. Kunstvoll flicht die Autorin Schauplätze der Stadt in ihre Erzählungen ein, erinnert an die Historie und lässt Begegnungen der verschiedenen Generationen untereinander zu. Alte Schachteln ist ein gelungener Erzählband, der gerade in Zeiten der wieder heraufbeschworenen Feminismusdebatte nachdenklich macht und über die Rolle der Frau und einen Lebenssinn in einer schnelllebigen Welt philosophiert.

Marlene Faro Alte Schachteln
Erzählungen.
Wien: Picus, 2006.
183 S.; geb.
ISBN 978-3-85452-613-1.

Rezension vom 10.01.2007

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.