#Prosa

Alte Geschichten

Elfriede Hammerl

// Rezension von Andreas Tiefenbacher

Es sind durchwegs älter gewordene Frauen, die in diesen mit Alte Geschichten übertitelten neun Erzählungen im Mittelpunkt stehen. Die einen haben „ein paarmal bedeutungslosen Sex mit anderen Männern“, leben aber in aufrechten ehelichen Gemeinschaften, die anderen vorwiegend allein, weil sie sich nicht mehr andauernd beweisen müssen, dass sie imstande sind, „einen Mann an sich zu binden“ und Sex ihnen „nicht mehr so wichtig“ ist.

Viel wichtiger scheint es, einmal nicht diesem ganzen Erwartungsdruck entsprechen und nach Schema F funktionieren zu müssen, was nicht heißen will, man lehnte Zweisamkeit ab. Wenn diese aber bloß aus gemeinsam Spaghetti essen und Rotwein trinken bestehen soll, dann bricht natürlich eine Frau, deren Unternehmungslust über Schwammerl suchen und jeden Sommer ins Salzkammergut fahren hinausreicht, nicht gerade in Jubel aus.
Andererseits ist auch klar, dass man nicht jünger, sondern bald „noch älter“ sein wird und sich deshalb eigentlich bescheiden könnte, so wie es Carola in der Erzählung „Die bessere Gefährtin“ tut.
Sie hat zwar nach der Scheidung fest vorgehabt, sich einen Kerl zu suchen, „der besser zu ihr passt“, doch der erträumte Märchenprinz ist nicht aufgetaucht. Allerdings verläuft auch das Leben mit Thomas nicht so schlecht. Jedenfalls ist es „angenehmer als ein Leben allein“. Und wenn sie seinen Marktwert als Mann betrachtet, findet es Carola auch ganz in Ordnung, dass sie ihm die Haare wäscht und die Kopfhaut massiert. Denn „einen Ladenhüter“ würde sie nie haben wollen, überhaupt könnte sie keine Beziehung mit jemandem eingehen, den nicht auch „eine respektable Anzahl anderer Menschen“ für begehrenswert hält.
Von derlei Empfindungsgerangel ist die abgehetzte, zwischen Job und Kindern zerrissene Protagonistin der Geschichte „Das andere Leben“ weit entfernt. Sie hat sich in die Rolle der „braven Großmutter“ pressen lassen und macht das, was von ihr verlangt wird. Aufgrund ihres schlechten Gewissens, dem Nachwuchs eine entbehrungsreiche Jugend zugemutet zu haben, weil sie als Alleinerzieherin ja immer arbeiten gewesen ist, wenn ihre beiden Töchter die Mutter gebraucht hätten, wagt sie es nicht, sich das eigene Leben einfach zu nehmen. Sie sitzt „im Hamsterrad eines wenig interessanten Jobs ohne Aufstiegschancen“ und macht ihren Kindern, die eigentlich nur unfreundlich zu ihr sind, „die Sklavin“.
Zur „Rund-um-die-Uhr-Großmutter“ bringt sie es dennoch nicht, obwohl sie sich unentwegt zu Dienstleistungen abkommandieren lässt und den Enkelkindern erlaubt, ihre Wohnung in „eine Müllhalde, ein Warenlager, eine Durchgangsstation“ zu verwandeln. So verwundert es kaum, dass diese Frau immerzu müde ist und sich eigentlich nach einer Therapeutin sehnt. Doch leider hat sie weder die Zeit noch das Geld dafür.
Geld hätte „Oma Bauer“, die lieber „Tante Karin“ genannt werden will, in „Die Nachbarin“ durchaus. Immerhin leistet sie sich eine Putzfrau und ist ziemlich viel unterwegs. Denn Karin Bauer hält Vorträge, schreibt Beiträge für Fachzeitschriften und ist somit alles andere als bereit, sich von der ins Nachbarhaus einziehenden Jungfamilie als „Leihoma“ oder „nette alte Nachbarin, die sich freut, Oma spielen zu dürfen“, einspannen zu lassen. Dementsprechend erscheint sie, die immer „irgendwelche Termine“ hat, in den Augen der jungen Leute als „distanzierte, egoistische Kuh ohne jede Hilfsbereitschaft“.
Nicht sonderlich gut mit Hilfsbereitschaft ausgestattet erweist sich auch Edith, der man in der Erzählung „Hass“ begegnet. Sie entpuppt sich nicht nur als „hartherziger Mensch“, sondern auch noch als „schreckliche Mutter“, die als Kind zwar ein „Nest aus Privilegien und Liebe“ genossen, nichts davon aber an ihre Kinder weitergegeben hat und ihnen statt in liebevoller nur „in gewalttätiger Absicht (…) nahe gekommen ist“.
Diese unnahbare, arrogante Frau mit ihrer fortschreitenden Verrücktheit, die mittlerweile aus Gewohnheit hasst, vor allem ihren Ehemann Kurt, dessen Untreue ihr viel weniger zu schaffen gemacht hätte, hätte er sie nur „mit einer interessanten Frau betrogen“, ist ein weiterer origineller Frauentyp in Elfriede Hammerls Erzählband, der durch seine Vielfältigkeit beeindruckt.
Die Palette reicht von der ihre Schüchternheit angestrengt tarnenden, „alleinerziehenden, verheirateten Mutter“ bis zur in einer Pflegeresidenz im Grünen sitzenden früheren Fotoreporterin, die weinen könnte, wenn sie nur daran denkt, wieviel ihrer Zeit in Hausarbeit geronnen ist anstatt „in den Anblick von Lavendelfeldern“.
Genau dieser dürfte den in der Geschichte „High Society“ vorgeführten weiblichen Figuren am ehesten bekannt sein, verkehren Maggie und Anouk doch im Umfeld von Leuten, die in der Filmwelt Rang und Namen gehabt haben. Für beide gibt es nur eine Form der Karriere, und zwar „die Ehe mit einem vermögenden, gesellschaftlich angesehenen Mann“, leiten sie doch den Stellenwert einer Frau von „ihrer Tauglichkeit zur Trophäe“ ab.
Um diesen Status zu erreichen heißt es, über das strikte „Einhalten einer spartanischen Diät und exzessive Quälereien an Fitnessgeräten“ ein elegantes Untergewicht zu stabilisieren. Geldsorgen gibt es auf dieser Ebene des Frauseins natürlich keine. Doch ob so viel Fremdbestimmtheit langfristig gut tut, ist die Frage. Zwar mag ein „vom Geldausgeben und dem Feiern luxuriöser Feste“ dominiertes Leben nicht unspannend sein, mit Tiefe dürfte es allerdings wenig zu tun haben.
Überhaupt scheint Tiefe im Leben einiger Protagonistinnen ihrer Kompromissbereitschaft zum Opfer zu fallen, sehnen sie sich doch „nach Romantik“ und sind einfach „gern zu zweit“, vor allem wo sie doch gezwungen sind, sich ins Altwerden einzugewöhnen.
Dass den Männern dabei der unfreundlichere Part zufällt, weil sie eingebildet, unflexibel und voller „Unternehmungsunlust“ sind, „in der Symbiose die einzig natürliche Lebensform sehen“, sich dann aber trotzdem wie „Windhunde“ gerieren oder als „der große sorglose Junge“, der bis ins hohe Alter glaubt, Frauen von sechzehn bis sechzig haben zu können, wird in diesem zwischen sachlicher Ernsthaftigkeit und leiser Ironie changierenden Buch auf sehr sympathische Weise dargelegt.

Elfriede Hammerl Alte Geschichten
Erzählungen.
Wien: Kremayr & Scheriau, 2018.
192 S.; geb.
ISBN 978-3-218-01106-8.

Rezension vom 24.03.2018

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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