#Anthologie

Als stünd' die Welt in Flammen

Herbert Exenberger (Hg.)

// Rezension von Heimo Gruber

Im Jänner 1933 wurde in Wien die Vereinigung sozialistischer Schriftsteller gegründet, in der einige Dutzend der österreichischen Sozialdemokratie verbundene Autorinnen und Autoren organisiert waren. Die gleichzeitig erfolgte Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland bestimmte von Beginn an die Aktivitäten dieser Vereinigung. In vielen Veranstaltungen wurde gegen die Kulturbarbarei im Dritten Reich protestiert, die bald nach Beginn der Diktatur mit den Bücherverbrennungen ihren ersten Höhepunkt erreichte.

Oskar Maria Graf, der als Exilant sofort Aufnahme in die Vereinigung fand und in der Folge zu den engagiertesten Aktivisten zählte, veröffentlichte in der Arbeiter-Zeitung seinen berühmten Aufruf: „Verbrennt mich!“ Und als sich im Mai 1933 beim PEN-Kongreß in Ragusa die Leitung der österreichischen Delegation gegen die Verurteilung Nazideutschlands aussprach, verlas der Autor Hugo Sonnenschein in einem mutigen Auftritt eine Solidaritätserklärung der Vereinigung sozialistischer Schriftsteller mit der verfolgten deutschen Literatur.
Aber auch mit Beiträgen in sozialdemokratischen Medien und einem reichhaltigen Programm von Autoren- und Diskussionsabenden zu literarischen und ästhetischen Fragen, zu Formfragen in der Kunst, zu Problemen des Verlagswesens und der Presse trat die Vereinigung in der kurzen Zeit ihres Bestehens an die Öffentlichkeit.

Eine Aufzählung der Mitglieder kann nur selektiv sein und muß zwangsläufig ungerecht gegenüber den Ungenannten bleiben, aber allein die Namen von Josef Luitpold Stern, Rudolf Brunngraber, Fritz Brügel, Lili Körber, Ernst Fischer, Käthe Leichter, Max Winter, Marie Jahoda, Robert Ehrenzweig (Lucas), David Josef Bach, Ernst Waldinger, Hermynia zur Mühlen und Theodor Kramer lassen einiges vom geistigen und politischen Potential dieser Gruppe erahnen. Das war auch den damaligen österreichischen Machthabern ein Dorn im Auge und nachdem die Reste der österreichischen Demokratie im Februar 1934 zerschossen waren, wurde die Vereinigung sozialistischer Schriftsteller von der Behörde zwangsweise aufgelöst.

Es ist das große Verdienst Herbert Exenbergers, in jahrelanger mühevoller Kleinarbeit die Geschichte dieser bemerkenswerten Gruppierung rekonstruiert und der Vergessenheit entrissen zu haben. Denn nach Verbot, Vertreibung und Ermordung war es nach 1945 der Mangel an Ehrlichkeit im Umgang mit der Vergangenheit, der für eine jahrzehntelange Vergeßlichkeit sorgte.
Während die Organisationsgeschichte den ersten Teil des Buches einnimmt, hat Herbert Exenberger in der Folge eine Anthologie mit Beiträgen von acht Autorinnen und Autoren (Benedikt Fantner, Adele Jellinek, Else Feldmann, Käthe Leichter, Walter Lindenbaum, Thekla Merwin, Heinrich Steinitz, Adolf Unger) der Vereinigung sozialistischer Schriftsteller zusammengestellt. Den Texten nachgestellt sind die Kurzbiographien der ausgewählten SchriftstellerInnen, die alle in den Konzentrationslagern der Nazis ermordet wurden.
Die Anthologie enthält insgesamt 104 Beiträge, deren Entstehung die Zeit vom Ersten Weltkrieg bis zum Nationalsozialismus umfaßt. Von vier AutorInnen finden sich noch in den Todeslagern entstandene literarische Zeugnisse.
Exenberger hat nur in sich abgeschlossene Texte und keine Auszüge aus Romanen oder dramatischen Werken aufgenommen; daher dominiert die kurze Form: Lyrik, Skizzen, Sozialreportagen, Beiträge zu politischen und kulturpolitischen Fragen. Der überwiegende Teil davon erschien erstmals in sozialdemokratischen Medien.

Die Thematisierung von Armut zieht sich wie ein roter Faden durch die Anthologie. Die authentischen Bilder nähren sich aus eigener Anschauung der AutorInnen, die in der Mehrzahl selbst einen aufreibenden Existenzkampf zu führen hatten. Fast alle der ausgewählten SchriftstellerInnen waren jüdischer Herkunft; vielleicht ist diesem Umstand eine geschärfte Sensibilität für Probleme von Randständigkeit und Ausgrenzung zu danken. Aber es wären nicht literarische Zeugnisse der Arbeiterbewegung, würde nicht immer wieder die Solidarität den Weg aus der Verzweiflung weisen.
Bestechende Beispiele politischer Bildungsarbeit sind die Aufsätze Käthe Leichters (u.a. über einen Frauenstreik, über den § 144, Bildungsarbeit für Arbeitslose, Aspekte der Parteiarbeit, Frauen im Faschismus), von denen „Alles wird veräußert – Die Entstaatlichungstendenzen der Regierung Seipel-Kienböck“ wieder besonders aktuell zu lesen ist.
Herbert Exenberger hat mit „Als stünd‘ die Welt in Flammen“ der Vereinigung sozialistischer Schriftsteller ein würdiges Denkmal gesetzt. Zugleich macht es beklemmend deutlich, wie sehr der Faschismus eine literarische Tradition zerstört und ihre Träger ermordet oder in alle Welt zerstreut hat: Nach 1945 kehrten nur sechs Mitglieder der Vereinigung nach Österreich zurück.

Herbert Exenberger (Hg.) Als stünd‘ die Welt in Flammen
Eine Anthologie ermordeter sozialistischer SchriftstellerInnen.
Wien: Mandelbaum, 2000.
(Reihe Antifaschistische Literatur und Exilliteratur, Bd.19)
284 S., brosch.
ISBN 3-85476-037-X.

Rezension vom 12.06.2001

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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