#Roman
#Debüt

Als meine Therapeutin schwieg

Lisa Mundt

// Rezension von Andreas Tiefenbacher

Die Psychotherapeutin Tina Korn ist eine gewissenhafte Person. Sie besucht Fortbildungen zu aktuellen Problemstellungen und protokolliert nächtelang die Gespräche mit ihren Klientinnen und Klienten, denen unterschiedliche Traumata das Leben erschweren.

Dem achtjährigen Adil setzen der Krebstod seiner Mutter und das (missverstandene) Verhalten seines Vaters so zu, dass er aufhört zu reden und aggressiv auf seine Umwelt reagiert. Simon Rapp drängen Stress und Unzufriedenheit im Beruf (seit Jahren will er die Firma verlassen) in eine Depression und zu einer finalen Entscheidung.
Diese hat Borderline-Patientin Adriana, die als 12jährige erstmals in der Psychiatrie gelandet und deren Körper durch ein weißes Narbengewebe, alte Brandwunden und blaue Flecken verunstaltet ist, bereits getroffen. Komplett „im Arsch“, „offen und blutend“ wähnt sie sich vor der auf ihren Gedärmen herumsteigenden Therapeutin, die sie als „dreckige, kleine Patientin einfach in den Müll“ wirft. Adriana möchte auf weitere Behandlungen daher lieber verzichten und behauptet vor ihrem Freund, dass Frau Korn ihr geraten habe, mit ihm Schluss zu machen, weil er ihr „nicht guttue und ihr Leben zerstöre“.
Derlei Konflikte beanspruchen im Leben der auftretenden Personen ziemlich viel Raum. Entspannung ist höchstens dann in Sicht, wenn Tina Korn sich einen Spinat-Auflauf mit Belugalinsen im Backrohr wärmt, ein Bad nimmt und hinterher mit ihrer Clique zusammentrifft, die sie als „gut gelaunte Truppe“ bezeichnet.
Gute Laune zeigt sich in der Handlung des Romans aber eher selten. Zumeist ist die Atmosphäre weniger von zwischenmenschlicher Wärme als von individueller Verlorenheit geprägt. Dazu passt auch das im Text herrschende Wetter: Es ist Winter und schneit. Manchmal scheint auch die Sonne, doch es ist eisig. Ein starker Wind macht sich breit, der die mit analytischem Blick gezeichneten, sorgenvollen Stimmungen begleitet.
Ungeachtet ihrer fachlichen Kompetenz gerät auch Tina Korn, die als Erzählerin fungiert, in ein traumatisches Gefühlsdilemma. Ursache ist ein Mann, mit dem sie nach einer Konferenz an der Bar ins Gespräch kommt. Sie lässt sich auf der Toilette von ihm „ficken“ und danach im Krankenhaus den dabei erlittenen „Fleck an der Schulter“ versorgen und einen HIV-Test machen. Zur Anzeige bringt sie den Vorfall nicht. Selbst ihrer Freundin Martha, mit der sie seit zweieinhalb Jahren eine Beziehung hat, verheimlicht sie die erlittene sexuelle Gewalt.
Doch so zu tun, als wäre nichts gewesen, gelingt nicht. Als Martha sich aufgrund reduzierter Arbeitszeiten in der Tierhandlung ihre Wohnung nicht mehr leisten kann und bei Tina einzieht, kommt keine Freude auf. Martha scheint, als würde Tina lieber „in der Praxis als bei ihr im Bett“ übernachten und sie sucht sich beleidigt eine Alternative, während Tina ausweichend erklärt, sie könne sich gerade „nicht so gut mitteilen“. Und wie sollte auch alles klappen, wenn Martha „einfach ohne zu fragen einzieht“?
Zwischen beiden Freundinnen tut sich plötzlich eine schamhafte Kluft auf, Nähe und Vertrauen wollen sich nicht einstellen. Über erlittenes Leid zu sprechen, fällt nicht leicht. Tina verharrt in Schweigen, wo Martha sie allein wegen all den anderen Frauen zur Polizei „geschleift“ hätte. Sie setzt weniger auf Rigorosität als auf Geduld und Verständnis, denn Tina will helfen. Dementsprechend bilden die Therapiestunden die Essenz des Romans, der in akzentuierten, authentisch wirkenden Dialogen und schnörkellosen Beschreibungen profunde Einblicke in die menschliche Psyche vermittelt.
Trotz des erlittenen Traumas und der Absicht, möglicherweise „die Praxis zusperren“ zu wollen, scheint die fachliche Kompetenz und Motivation der Protagonistin ungebrochen. Denn weder setzt Simon Rapp zum Sprung aus dem Leben an, noch erweist sich Adil Yildiz‘ Stummheit als unüberwindliche Hürde.
Der Autorin gelingt es mit psychologischem Feingefühl sehr präzise zu zeigen, dass Menschen „nicht immer glücklich und wütend sein“ können, genausowenig wie sie dafür gemacht sind, sich vollends in der Traurigkeit zu verlieren.
Lisa Mundt formuliert ausdrucksstark, erzählt flüssig und pointiert, ja frönt einem auf kurzen Aussagesätzen beruhenden, temporeichen Stil. Die minutiöse Darstellung aller Abläufe klingt bis ins Detail überzeugend.
Über die Fähigkeit, seelisches Leid aus sich hinaus zu atmen, verfügt niemand. Die Heldin Tina Korn schafft es zumindest kurz vor Ende des Romans, in Schweigen versunken da zu sitzen. Sie atmet ein, hält den Atem an, atmet aus. Ihr „Rücken ist gerade und stark“.
Eine auf schönen, unprätentiösen Dialogen und fesselnden Szenen beruhende Stärke durchzieht dieses luftige und gut zu lesende, einprägsame Debüt, in dem „Verschwiegenheitspflicht“ glücklicherweise nur für die Therapeutin gilt. Man darf daher gespannt sein, was folgt!

Lisa Mundt Als meine Therapeutin schwieg
Roman.
Wien: Milena, 2019.
144 S.; geb.
ISBN 978-3-903184-41-1.

Rezension vom 05.11.2019

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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