#Prosa

Alles über alles – oder warum

Max Höfler

// Rezension von Gerald Lind

Der Grazer Autorperformer und Avantgarde-Literaturscherzbold Max Höfler legt mit dem in ironisch-vieldeutiger Großspurigkeit betitelten Alles über alles – oder warum sein mittlerweile fünftes, Grenzziehungen zwischen Fakt und Fiktion lustvoll sprengendes Buch vor. Höflers textübergreifendes Programm ist die paraliterarisch-postfaktische Welt(wieder)verzauberung und Realitätsver-Dichtung, da dem Autor die Konsensrealität schlicht zu langweilig ist.

Die von Höfler bevorzugte literarische Methode folgt dem Struktur-Blaupausen-Prinzip, der potentiell anarchistische Assoziationsausstoß seines Schreibens wird also durch eine Genre-Vorgrundierung in produktiv machende Textbahnen gelenkt. Bei Alles über alles – oder warum ist es die Trivial-Pursuit-Weltkategorisierung (Erdkunde, Unterhaltung, Geschichte etc.), in der Höfler mit stupender Konsequenz seine als verschwörungstheoretisch-clickbaitige Boulevardpoesiepossen gestylten Einträge/Fragen zu einer hyperverlinkten Fake-Enzyklopaedia-Universalis zusammenlötet.

Das so formel- wie fabelhafte Kompositionsprinzip hebt stets von einem faktischen oder zumindest ungegoogelt als faktisch akzeptierbaren Ausgangspunkt ab, der mit „Ist es vielleicht nicht vielmehr so, dass“ eingeleitet wird. Von diesem Ausgangspunkt wird in einem ununterbrochenen Satzmäander in eine Höflersche Parallelwelt voller unerhörter, grotesk-wahrhaftiger Spins hineinerzählt. So wird im Eintrag zu Stummfilmikone Buster Keaton zur unbestätigbar-anmaßenden Mutmaßung, dass dieser deshalb nicht lachte, „weil unser Buster Keaton einfach gegen jegliche Art von Belustigung, gegen alle Scherze einfach immun war, selbst bei den komischsten Grimmassen, dem ausführlichsten Gesichtstango seiner Kollegen, selbst bei den witzigsten Bananenschalensketches keinerlei Regung, nicht einmal auch nur ein Anzeichen von Amüsement zeigte, wenn jemand beim Bücken die Hose platzte, durch ein verdorbenes Mittagsmahl beim All-you-can-eat-Billigbuffet plötzlich eine Kackfontäne anstatt eines heimlichen Erleichterungsfurzes aus dem Hosenboden schießt“ (S. 121). Beendet werden die kurzen Prosastücke mit einer nicht selten ebenso vorder- wie hintergründigen, in einem Fragezeichen endenden Schlusshypothese/-pointe. Beim erwähnten Buster-Keaton-Eintrag etwa läuft diese über die Referenz auf das Viral-Gehen letaler Fails darauf hinaus, „dass jeder Normalmensch noch Stunden danach diesen lustigen Clip all seinen witzaffinen Freunden weiterschickt, wohingegen unser Buster Keaton davon nie irgendetwas wissen, sondern sich einfach nur auf sein eigenes Unglück konzentrieren wollte.“ (121)

Wie auch in seinen bisherigen Büchern verwendet Max Höfler einen durchrhythmisierten, auf Affirmationswiederholungen und galligen Brutalomackersprüchen basierenden Rantstil, der einem das Lachen sozusagen mit der verbalen Faust den Rachen hinunterknüppelt. Die ebenso artifiziell wie organisch wirkende Sprache ist durchzogen von Jugendslangversatzstücken der Post-1945er-Generation, Kalter-Krieg-Terminologie, Gegenwartsphraseologien, exzessivem Erste-Person-Plural-Possessivpronomen-Gebrauch, wortlüstigen Sprachverspieltheiten und neologistischen Verwortwitzelungen verschiedener Geglücktheitsgrade. Nicht wenige Einträge weisen zudem einen teilambivalenten, zumindest in einer Lesart Phallozentrismen dekonstruierenden Zug auf: „Ist es vielleicht nicht vielmehr so, dass unser Koloss von Rhodos nur deswegen zu einem Weltwunder wurde“ (S. 36), weil, wie es heißt, sich ein einheimischer Philosoph aus seinen prekären Philosophenverhältnissen befreien und also zum „Fremdenverkehrsobmann von Rhodos hochputschte, als der er sich dann endlich ein Denkmal, ein veritables Leuchtturmprojekt“ hinstellen ließ, „auf dass all die armen Matrosen endlich sein pelziges Gehänge beim Einlaufen bewundern würden?“ (S. 37)

Intermedial zusätzlich satirisch zugespitzt werden die Einträge von mockumentarisch eingesetzten Fotografien aus dem Public-Domain-Universum, mit der vielleicht auf zukünftige Bildproduktionsweisen hinweisenden und aus dem Skurrilitätsbilderbogen noch herausblitzenden Ausnahme des vom Autor via AI generierten „Ludwig van Beethoven beim Sonnen seines Dammes“ (S. 45). Hinzu kommen Des-Informationskästchen, die via Influencer-Superlativironisierung und „Du würdest niemals glauben“-Trash-Internet-Annoncenrhetorik „Alles über alles“ mit einem phisinghaften, zutiefst unzuverlässigen Verweisnetz versehen:

„Unglaublich, aber wahr!
So langweilig ist der langweiligste Mensch der Welt!
Alle spannenden Details auf S. 69.
(Brandy)“ (S. 120)

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Repetitivität des Textproduktionsprinzips bei jenen Lesenden, die nicht unbedingt zum impliziten Zielpublikum des Buches – dem Autor wesensverwandte postadoleszente Geistesgambler:innen aller Altersklassen – gehören, zu Ermüdungserscheinungen führen mag. Aber womöglich ist Alles über alles – oder warum auch nur bedingt für die stille Solo-Lektüre gemacht. Denn vielleicht, ja vielleicht ist es ja vielmehr so, dass unser Max Höfler nur deshalb einen so sprachlüstern-wortgeil-genialen Text geschrieben hat, weil er ihn eigentlich gar nicht gelesen haben will, sondern ihn viel lieber vorlesetechnisch aufperformieren, ihn einfach Spoken-Word-mäßig auf den Vortragendentisch klotzen, ihn einmal so richtig dem belustigungsaffinen Feinspitzauditorium vor den Latz rezitieren will, er ihn also in einer Literaturschenke, einer Schreiber:innenbar, einem Textproduktionsgourmettempel in Ihrer Nähe und in Ihrer Anwesenheit züchtigst aufführen möchte.

Homepage von Gerald Lind

Max Höfler Alles über alles – oder warum
Prosa.
Klagenfurt: Ritter Verlag 2023
200 Seiten, broschiert.
ISBN: 978-3-85415-664-2

Rezension vom 29.02.2024

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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