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Alles auf Anfang

Claudia Sprinz

// Rezension von Veronika Hofeneder

Claudia Sprinz, die bisher mit der Veröffentlichung von Kurzgeschichten in zahlreichen Anthologien in Erscheinung getreten ist, hat nun mit Alles auf Anfang ihren ersten Roman vorgelegt. Und dieser hat es wahrlich in sich! Ab der ersten Seite ist man gebannt von der Geschichte um das Paar Martin und Verena, das auf besonders intensive Weise voneinander angezogen ist.

Eigentlich kennen sie einander schon seit Schulzeiten, die hübsche Verena hatte bereits damals das Interesse des schüchternen Martin geweckt; aus Angst, bei ihr abzublitzen, hat er sich aber nicht getraut, sie anzusprechen. Gut fünfzehn Jahre später, mit durch Erfolge in Beruf und Frauenwelt gestärktem Selbstbewusstsein, wagt er den entscheidenden Schritt und steckt ihr bei einem Konzert, bei dem er als offizieller Photograph engagiert ist, seine Visitenkarte zu. Verenas Freundin Sabine, mit der sie als Gast das Konzert besucht, kann sie gerade noch davon überzeugen, Martin nicht in der Sekunde zu kontaktieren, sondern damit zumindest bis zum Ende des Abends zu warten. Die daraufhin gemeinsam verbrachte Nacht stellt alle bisherigen (v.a. erotischen) Erfahrungen Martins in den Schatten, Verenas Leidenschaftlichkeit fasziniert ihn nachhaltig.

Nach vielen gemeinsam verbrachten Beziehungsjahren wird dann auch die sexuelle Anziehungskraft die einzige sein, die unverändert mächtig ist. Sonst hat sich zwischenzeitlich nämlich vieles verändert: persönliche wie berufliche Höhenflüge und Tiefschläge hinterlassen auch an der einst so harmonischen Beziehung ihre Spuren und bringen sie in eine emotionale Schieflage, auf die Verena gewalttätig reagiert. Als sie Martin das erste Mal schlägt, glaubt dieser noch an einen Einzelfall, als sich der Vorfall jedoch ungleich heftiger wiederholt, beschließt er, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. In der Praxis des Psychotherapeuten, die Martin unter Einhaltung größter Vorsichtsmaßnahmen aufsucht, könnte es zu einem weiteren spannenden Wendepunkt kommen – zumal der Psychotherapeut Martins Schilderung (zunächst?!) keinen Glauben schenkt.

Leider bricht Sprinz ihren Roman jedoch genau an dieser Stelle ab. Dass dieser Kunstgriff beabsichtigt ist, daran lässt die erzähltechnisch versierte Autorin keinen Zweifel, hat sie doch das bisherige Geschehen in einer anachronischen Komposition und durch eine multiperspektivische Erzählweise geschildert. Durch die Verschachtelung der Zeitebenen und die wechselnden internen figuralen Perspektiven bleibt vieles vage und der Deutung der Rezipientin überlassen, was den besonderen Reiz des Textes ausmacht und eine starke Sogwirkung erzeugt. Man möchte unbedingt mehr erfahren über die Hinter- und Abgründe der seelisch versehrten Figuren sowie die Ursachen und Auswirkungen ihrer Verhaltensweisen. Denn nicht nur Verena hat eine eindeutig neurotische Disposition (was durch zahlreiche Erlebnisse aus ihrer Kindheit in einem lieblosen und überstrengen Elternhaus klar veranschaulicht wird), auch Martin ist keineswegs der gefestigte Charakter, als der er sich gerne präsentiert. Im Gegensatz zu Verena wird sein künstlerisches Talent von seinen Eltern gefördert, wegen der Krankheit seiner Mutter muss er allerdings einige Jahre im Internat verbringen. Introvertiert und sensibel, ist er ein ausgezeichneter Beobachter und grundsätzlich eher passiv veranlagt. Auf gegen ihn gerichtete Aggressionen reagiert er nicht mit Widerstand, sondern läuft vor ihnen davon. Er braucht Stärkere, die für ihn agieren. So kann erst die Schützenhilfe seines Freundes den Attacken seiner Klassenkameraden ein Ende bereiten. Und auch Verenas Schlägen setzt er nichts – auch nicht verbal – entgegen, sondern ergreift die Flucht und versucht in der Folge, „keine Fehler mehr zu machen.“ (8)

Die Stärke von Sprinz‘ Debütroman liegt eindeutig in der Schilderung des Innenlebens ihres Protagonisten: Martins Emotionen und die Anziehungskraft, die Verena auf ihn ausübt, werden sehr plastisch dargestellt, die Komplexität seines Charakters offenbart sich erst nach und nach. Im Vergleich dazu wirkt die Figur der Verena etwas platt, allzu offensichtlich wird klar, dass hier Erziehungsfehler und Kindheitstraumata Ursache für ihr mangelndes Selbstwertgefühl und ihre daraus resultierenden Verhaltensweisen sind. Ebenso sind die zuweilen etwas ausführlichen Passagen über Geschäftstaktiken im Marketing-Bereich der tiefenpsychologischen Motivation des Romans wenig zuträglich. Davon abgesehen ist Sprinz jedoch ein höchst faszinierender Roman gelungen, der sich auf weiten Strecken durch die genaue wie lebhafte Wiedergabe visueller und emotionaler Eindrücke auszeichnet und diese zu einem letztlich nicht ganz durchschaubaren Ganzen zusammenfügt.

Claudia Sprinz Alles auf Anfang.
Roman.
Wien: Hollitzer Verlag, 2019.
160 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-99012-591-5.

Homepage der Autorin

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autorin

Rezension vom 31.03.2019

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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