#Roman

Allein in der Nacht

Edith Kneifl

// Rezension von Petra M. Rainer

Wie manche Filme, so hat auch dieser jüngste Roman von Edith Kneifl einen Vorspann: Eine Frau entkommt nur knapp einer Vergewaltigung, die sie anscheinend etwas leichtsinnig riskiert hat. Der Ehemann der Frau reagiert vehement: Er habe die Sucht der Frau satt, sie könne wählen zwischen Entmündigung und Therapie; die Frau entschließt sich zur Scheidung.

 

Der weitere Text ist in sechs Abschnitte unterteilt, die jeweils in Tag und Nacht gegliedert sind; leitmotivisch ist jedem dieser Abschnitte der entsprechende Text der Genesis vorangestellt. Das entsprechende Zitat für den siebenten Tag beendet den Roman.

Die Frau, mit Namen Vera, erhält nach der Scheidung eine Entschädigung von zwei Millionen Schilling und erwirbt ein Loft im siebenten Wiener Gemeindebezirk. Vera arbeitet als Journalistin beim Rundfunk und plant gerade einen Sendebeitrag über Einsame, die per Inserat ihr Glück fürs Leben suchen. Zu diesem Zweck hat sie in einer Tageszeitung eine Annonce geschaltet und ihre eigene Telefonnummer angegeben, so daß laufend einschlägige Anrufe auf Veras Anrufbeantworter eintreffen. Nach und nach wird deutlich, daß Kontaktanzeigen bzw. das Beantworten derselben jene Sucht ist, die Veras Exmann (von Beruf Psychotherapeut) nicht mehr mittragen wollte.

Der Roman kommt mit sehr wenigen Personen aus, und so gibt es neben den bereits genannten nur noch die Eltern und die Schwester Veras (in Statistenrollen) sowie die Freundin Marscha und deren Sohn Simon, Veras jungen Geliebten. Die verschiedenen kontaktsuchenden Anrufer bekommen immer mehr Raum und beherrschen schließlich die Handlung. Manche sprechen mysteriöse Drohungen aus, einer liebt es, aus der Bibel zu zitieren, andere sind sexuell anzüglich. Die Anrufer scheinen mehr von Vera zu wissen, als ihr lieb ist, und plötzlich fühlt sie sich in ihrem großen Loft ohne Wände und (vorerst) ohne Jalousien ziemlich ausgesetzt: Das ehemalige Fabriksgebäude ist noch nicht vollständig adaptiert, es gibt nur eine junge Nachbarsfamilie, sonst steht es leer. Und vis-à-vis fühlt sich Vera von einem Spanner beäugt. Auch wenn sie nachts durch die Stadt zieht, fühlt sie sich beobachtet, verfolgt. In die Enge getrieben, reagiert Vera aggressiv: Sie wird zur Mörderin.

Die Mordwaffen, wie zum Beispiel eine elektrische Bohrmaschine, setzen einen ironischen Kontrapunkt. Insgesamt spitzt sich das Geschehen derartig zu, daß es sich auch um die Phantasien der überreizten Protagonistin handeln könnte.
„Allein in der Nacht“ greift literarische Genres auf wie etwa Kriminalroman, Pornografie, verweigert aber zugleich deren Einlösung. Der Text ist weder blutrünstig noch schlüpfrig. Die angeführten Bibelzitate können sowohl kritisch als auch illustrierend gelesen werden.

Edith Kneifls Roman bleibt in vielen Aspekten sehr unbestimmt. Mord und Totschlag sind jedenfalls das pessimistische Ergebnis einer versuchten weiblichen Emanzipation, auch wenn die Wehrhaftigkeit Veras traditionelle weibliche Rollenbestimmungen durchkreuzt.

Edith Kneifl Allein in der Nacht
Roman.
München, Zürich: Diana, 1999.
222 S.; geb.
ISBN 3-8284-0029-9.

Rezension vom 03.08.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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