Für H., der sich selbst als „Universalwissenschaftler“ (37) sieht, ist S. der ideale Patient, da er an ihm seine Forschungen zum Ursprung sämtlicher Geisteskrankheiten durchführen kann. Mit Fortschreiten der Behandlung entgleitet ihm diese jedoch immer mehr, genauso wie die Sicht auf die Wirklichkeit. H. findet sich auf einmal selbst in der Psychiatrie wieder und hat zunehmend Schwierigkeiten zwischen krank und gesund, Wahnsinn und Realität, Arzt und Patient, dem Anderen und dem Ich zu unterscheiden. Seine wiederholten Einweisungen auf die psychiatrische Station betrachtet H. zunächst noch durchaus sportlich im Sinne der Feldforschung: „[Ich] bin vorübergehend im Patiententrakt untergebracht – das ist in der Tat zwar herausfordernd, jedoch bin ich in dieser Angelegenheit von Professor W. überzeugt worden, dies als Vorteil zu betrachten: es ist mir dadurch möglich, direkt am Patienten zu forschen!“ (96) Seine wissenschaftlichen Erkenntnisse gestalten sich aber zunehmend paradox: „Löst sich das Rätsel einer Geisteskrankheit, löst sich eben diese Geisteskrankheit selbst auf, indem sie im Widerspruch zu den sie bedingenden Ursachen steht. Löst sich das Rätsel aller Geisteskrankheiten endlich auf, lösen sich augenblicklich alle Geisteskrankheiten selbst auf, und löst sich mit dem Rätsel um die Geisteskrankheiten das Rätsel um die Wirklichkeit selbst, so ist es die Wirklichkeit selbst, die sich mit der Lösung auflöst.“ (63)
Es nimmt also nicht Wunder, dass sich in diesem permanenten Schwebezustand auch H.s eigene Persönlichkeit immer mehr auflöst und zunehmend mit jener von S. verschwimmt, sodass letztlich auch die Rollen von Arzt und Patient vertauscht scheinen. Erzähltechnisch wird dieses Vexierspiel durch das Setting als Briefroman unterstützt und vom gewieften Autor Fleisch auf die Spitze getrieben, in dem er ausschließlich H.s Briefe präsentiert und damit nur dessen Sichtweise auf das Geschehen zulässt. H. bezieht sich zwar immer wieder auf Passagen in den Gegenbriefen von S., inwieweit diese von H. jedoch um- oder fehlgedeutet werden, bleibt der Interpretationshoheit der/des Leserin/s überlassen. Diese total intradiegetisch-personale Fokalisierung ist zum Teil durchaus amüsant und entspricht auf erzähltechnischer Ebene genau der Umsetzung von H.s Geisteszustand, der souverän mit medizinischen und pharmakologischen Fachtermini jongliert, um im nächsten Atemzug von seiner Defäkation in einem Beichtstuhl oder seinem Angriff auf die Heiligen Drei Könige zu berichten, weil er deren Besuch als terroristisches Attentat interpretiert. Mit der Zeit wirkt dieser Kunstgriff jedoch ermüdend und lässt die Leser/innen ein wenig ratlos in den Fängen dieses wahnsinnig-unzuverlässigen Erzählers zurück. Eine zusätzliche Ebene führt Fleisch noch mit Bezügen zur Krankengeschichte von Friedrich Nietzsche ein, der auch mit einigen direkten Zitaten (Ecce homo!) zu Wort kommt und durch das Quellenverzeichnis belegt wird. Auch wenn diese Konstruktion so gut gemeint wie klug gemacht ist, erschließt sich ihr Sinn nicht zur Gänze – was wiederum genau der Intention des Autors entsprechen mag, seinen Leser/inne/n genau dieselbe Verwirrung wie seinen Protagonisten zuzumuten.