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Adolf Holl - Der erotische Asket

Anita Natmessnig

// Rezension von Harald Klauhs

„Ach“, „na bitte“, „na sicher“, „na gut“, „bitteschön“ und immer wieder „also“, auch in der Kombination „also gut“, „na also“ oder „also bitte“: Wörter, Holl-Wörter, nicht unbedingt Intellektuellen-Wörter. Und damit sind wir mitten in der Kunst des Adolf Holl, Gedanken nämlich so zu verpacken, dass jeder glauben kann, er verstünde sie. Aber schmecks. Fängt man an, darüber nachzudenken, kommt man bald drauf, dass man gar nix verstanden hat. Aber – und das ist das Perfide daran -, dass man allen Grund dazu hätte, weiter darüber nachzudenken. Falls man mit dem Leben noch nicht ganz durch ist. Denn bei Holl geht’s immer um den Gott und um die Welt, also um das Leben. Und alle drei Begriffe haben bei ihm einen Artikel – justament: einen männlichen, einen weiblichen und einen sächlichen.

Nach 30 Büchern, in denen er geschichtsphilosophisch, religionssoziologisch und immer auch ein wenig theologisch Jahrtausende der Menschheitsgeschichte durchstreift hat, ist nun endlich ein Buch über Adolf Holl entstanden. Im Grunde ist es aber wieder – und darin besteht die Kunst der Autorin Anita Natmeßnig – ein Buch von Adolf Holl geworden. Denn ein nicht unbeträchtlicher Teil darin sind Originalzitate. Geschrieben auf seiner alten Olympia-Schreibmaschine, in deren Typografie gesetzt und solcherart vom übrigen Text abgehoben. Eine vortreffliche Idee, die den persönlichen Charakter des Buches sinnfällig macht.

Ein flüchtiger Blick könnte vermuten lassen, bei dem Band Adolf Holl – der erotische Asket handle es sich um ein „Making-of“. Hat die Dokumentarfilmerin Anita Natmeßnig doch mit Adolf Holl 2005 den Film „Wünsche können nicht irren“ gedreht, der im Fernsehen zu sehen war. Sicher war dieser Film der Ausgangspunkt zu dem Buch, berichten die Zwischentexte der Autorin doch von den Dreharbeiten. Was aber als Entstehungsgeschichte eines Films beginnt, entpuppt sich sehr bald als ein einfühlsames Porträt des Menschen, des Wissenschaftlers, des Schriftstellers – und last, but not least des Priesters Adolf Holl.

Denn selbstverständlich war es die Zäsur seines Lebens, als ihn Kardinal König 1976 als Priester suspendierte. Dass dies ungerechtfertigt geschah, behauptet Holl nicht. Aber liest man den Band zu Ende, dann glaubt man nicht mehr, dass es allein seine Lust an der Provokation war, die dazu führte. Die ist zwar Teil seines Lebens, aber eben bei weitem nicht das ausschlaggebende Motiv. Anita Natmeßnig mutmaßt in ihrem Band, dass Holls Wahrheitsliebe wesentlich entscheidender für den Bruch mit der Mutter Kirche war. „Lüg nicht, Bubi!“, hat seine Ziehgroßmutter ihn gelehrt. Und niemand, auch nicht die Scholastik und die darauf basierenden „hochnotpeinlichen“ Verhöre der Kirchenoberen, konnte ihn davon abbringen. So wurde er also zum Ketzer. Nicht ganz freiwillig, aber keineswegs ganz unschuldig.

Noch heute hegt er eine Aversion gegen die Lügen der Obrigkeiten. „Wenn du eine Erfahrung machst mit der römisch-katholischen Kirche, hast du eine Erfahrung gemacht, die du anwenden kannst auf die Kommunisten und auf die Nazis, auf die Demokratie und auf die Zeitungen. Auf alles Institutionelle.“ Diese Distanz gegenüber Autoritäten ist es, die Holl provozierend wirken lässt, weil hinter seinen „Sagern“ keine ideologische Absicht steckt, sondern der Drang zu sagen, was er herausgefunden und selbst erdacht hat. Wer Holl deshalb nur für einen Provokateur hält, ist ihm schon auf den Leim gegangen. Die Provokation ist eine seiner Methoden, aber nicht sein Ziel. Natmeßnigs Band deckt auf, dass Adolf Holl ein viel weniger politischer Mensch ist, als er in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Er ist viel mehr Forscher und Künstler als Ketzer.

Selbstverständlich sitzt dem Mann jedoch ein kleiner Beelzebub im Nacken, der ihm allerlei Dinge einflüstert, die ihn mitunter selbst überraschen oder gar erschrecken; etwa die „Theologie des Täuschens“, also dass der Gott jemand sein könnte, der die Menschen in die Irre führt – um sie so aus ihrem intellektuellen Tiefschlaf zu reißen. Denn möglicherweise ist es ja gar kein Teufelchen, sondern ein Engel, der Holl inspiriert. Wer mag das entscheiden? Solche gedanklichen Experimente zeigen jedenfalls Holls unbändige Lust am Rollenspiel. Treffend nennt Natmeßnig etwa ein Kapitel „Kantengeher und Stieglitz“. Es könnte ebenso gut Trickser und Schamane heißen oder Zauberer und Clown. Dieses Spielerische in Kombination mit dem Wahrhaftigen ist es, was ihm die heilige römisch-katholische Kirche am wenigsten verziehen hat: Dass man sie nicht ernst (genug) nimmt und damit ihre Autorität untergräbt. Nicht das öffentliche Bekenntnis, den Zölibat nicht einzuhalten, setzten den inquisitorischen Prozess gegen Adolf Holl in Gang, nein, es war vielmehr seine Erkenntnis, dass im Neuen Testament das Wort Priester nur elfmal vorkommt – und kein einziges Mal positiv. Holl schloss daraus und schrieb das auch, dass Jesus offensichtlich keine Kleriker-Kirche wollte. Das war es, was ebendiese am wenigsten hören wollte. Im Gegensatz etwa zum ebenfalls suspendierten Priester Eugen Drewermann wäre es Holl aber nie eingefallen, deshalb aus der Kirche auszutreten. Da müsste er sich selbst ja zu ernst und wichtig nehmen. Genau das tut er nicht. Und das macht es auch so schwierig, ihn zu fassen zu kriegen.

Anita Natmeßnig ist das in erstaunlicher Weise gelungen. Dazu tragen auch die zahlreichen privaten Fotos bei, die dem Band beigegeben sind. Sie zeigen nicht nur Stationen in Holls Leben vom auf dem Topf sitzenden Kleinkind bis zum „Oldie auf Reisen“, sondern in gewisser Weise auch seine Entwicklung vom unnahbaren Priester zum schmunzelnden Publizisten und frohen Partner seiner Lebensgefährtin. Dass die Fotos oft nicht bei jenen Passagen angesiedelt sind, in denen im Text auf sie Bezug genommen wird, sondern anscheinend willkürlich über das Buch verteilt wurden, ist als kleiner verlegerischer Mangel zu verbuchen.

Und was treibt ihn nun an, den Adolf Holl? Manche, wohl aus dem Herrgottswinkel heraus, werden sagen: das Anarchische. Andere, mehr aus der linken Ecke, werden sagen: die Sexualität. Wieder andere, vom akademischen Elfenbeinturm herab, mögen vermuten: der Wissensdurst. Recht haben sie alle – und auch nicht. Denn „Der erotische Asket“ entzieht sich eindimensionalen Zuschreibungen. Und so fragt man sich, wie es Anita Natmeßnig gelingt, einen so vielschichtigen Menschen wie Adolf Holl in die Zweidimensionalität eines Buches zu zwingen? Nun, sie hat es mit dichotomischen Kapitelüberschriften versucht, die ihrerseits kombinierbar sind. „Leiden und Lachen“, „Askese und Erotik“, „Kirchenkritik und Mystik“, „Zeit und Ewigkeit“ heißen ein paar davon. Man könnte daraus aber auch „Leiden und Zeit“, „Askese und Mystik“, „Erotik und Ewigkeit“, „Lachen und Kirchenkritik“ machen, ohne dem Protagonisten des Bandes unrecht zu tun. Denn Adolf Holl ist ein fleischgewordenes Kontrastprogramm, der für die Straßenzeitung „Augustin“ ebenso schreibt wie er vom Bundespräsidenten den „Österreichischen Staatspreis für Kulturpublizistik“ in Empfang nimmt. Somit ist Anita Natmeßnigs Band eine Andacht für Adolf Holl, aber ganz ohne Weihrauch, und eine Steilvorlage für jede Biografie über ihn.

Anita Natmessnig Adolf Holl – Der erotische Asket
Biografie.
Wien: Molden, 2007.
294 S.; geb.
ISBN 978-3-85485-202-5.

Rezension vom 30.10.2007

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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