#Prosa

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Judith Pouget

// Rezension von Charlotte Trippolt

Eine junge Frau steht mit gepacktem Rucksack am Bahnsteig und wartet „auf Adam und das Abenteuer und Amerika“. Dorthin wollen die zwei Verliebten nämlich verreisen. Amerika soll den beiden einige Wochen des Beisammenseins „ohne Zeitdruck. Und ohne drohende Abschiede,“ ermöglichen.

Judith Pouget beschreibt die Geschichte einer für unsere Zeit allzu typischen Beziehungssituation: Adam wohnt und arbeitet in London, die Ich-Erzählerin in einer anderen Stadt. Die an das Wiedersehen geknüpften Erwartungen sind dementsprechend groß und die Umstellung auf soviel Nähe und Zeit zu zweit nicht immer einfach. Allerdings gewöhnt man sich schnell an Veränderungen, schnell also auch an die anfangs noch so ungewohnt erscheinende Zweisamkeit: „Vor diesem Aspekt der Reise hatte ich mich etwas gefürchtet: dieses Zusammensein Tag und Nacht, das Verrichten intimster Dinge, Schweiß, Müdigkeit, ungewaschenes Haar. Doch all diese Befürchtungen haben sich schnell verflüchtigt, schon in der ersten Nacht. Das kann gar nicht anders sein: Auf so beengtem Raum, den wenigen Quadratmetern eines Hotelzimmers, gibt es keine Privatsphäre.“

Privatsphäre haben die beiden nur während des Schreibens, das die morgendliche Routine darstellt. Unklar bleibt allerdings nicht nur der Bekanntheitsgrad der beiden Schriftsteller, sondern auch, was sie schreiben. Beim Leser allerdings tut sich zunehmend die Vermutung auf, dass sich all das Aufregende und die Abenteuer dieser Reise in den unsichtbaren Texten der Protagonisten finden. Zwar erzählt auch Judith Pouget von den Beobachtungen ihrer Reisenden, allerdings ganz ohne große Worte, ohne Pathos und ohne Leidenschaft. Die Darstellung des Alltags rückt in den Vordergrund und selbst die Beschreibungen der indigenen Völker, auf welche das Paar immer wieder stößt, werden in einem passiven und distanzierten Ton wiedergegeben. Die Protagonisten besichtigen zwar ihre Bauwerke und bewundern ihr handwerkliches Können, allerdings tun sie dies ohne jegliche Empathie. Vielleicht auch deshalb, weil Adam vor einiger Zeit bereits in Mexiko war und mit den Städten und deren Bewohnern vertraut zu sein scheint. Vielleicht aber auch, weil das Interesse an ihrer Umwelt ohnehin nur zweitrangig ist. Denn der Zweck ihrer Reise ist ihr uneingeschränktes Zusammensein, nicht der Besuch fremder Länder und Städte.

Diese apathische Haltung schlägt sich letzten Endes auch in ihrer Beziehung zueinander nieder. Die Ich-Erzählerin will, dass sich Adam von ihr verstanden fühlt, will sich ihm gegenüber entsprechend seinen Vorstellungen verhalten. Oft bleibt sie stumm, macht ihm lediglich Umschläge für seinen schmerzenden Knöchel und vermeidet es, ihn nach seinen Vorstellungen einer gemeinsamen Zukunft zu fragen. Im Gegensatz zu ihr weiß Adam nämlich nicht, was er will und soll sich dessen nun in der Ferne des Alltags bewusst werden.
Am Ende ihrer Reise, die ohne jegliche Spuren an ihnen vorbeigegangen zu sein scheint, wissen die beiden soviel wie zuvor. Beide kehren in ihr „altes“ Leben zurück, trennen sich am Flughafen, unfähig, von ihrem passiven und abwartenden Beobachterposten herabzusteigen und sich dem realen Leben mitsamt seinen Risiken zuzuwenden. Eine Entscheidung für oder gegen ihre Beziehung haben sie beide nicht getroffen.

Auch für den Leser verändert dieses Buch nicht viel: eine Erzählung, die sich leicht und fließend lesen lässt und gegebenenfalls als Sommerlektüre dient. Einen starken Eindruck hinterlässt Judith Pouget allerdings nicht.

Judith Pouget abgehoben
Erzählung.
Wels: Mitter Verlag, 2009.
206 S.; geb.
ISBN 978-3-9502277-4-1.

Rezension vom 05.07.2010

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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