#Roman

Männer töten

Eva Reisinger

// Rezension von Alexandra Höfle

Nach der humorvollen Essaysammlung Was geht, Österreich? (Kiepenheuer & Witsch, 2021) bleibt sich Eva Reisinger thematisch treu und wechselt nur das Genre: Wieder entwirft die Autorin und Journalistin ein Abbild Österreichs, diesmal verpackt in einem Roman.
Eva Reisinger, in Oberösterreich aufgewachsen, lebte mehrere Jahre in Berlin und hat jetzt in Wien ihre Heimat gefunden.

Sie kennt Österreich also sowohl aus einer Innen- als auch aus einer Außenperspektive und scheut sich nicht vor einer kritischen Durchleuchtung.

Anna Maria, die Protagonistin von Männer töten, schmeißt von einem Tag auf den anderen ihr hippes Leben in Berlin hin: Sie verabschiedet sich von ihrem ausbeuterischen Agenturjob, trennt sich von ihrem DJ-Freund und zieht nach Engelhartskirchen, einem fiktiven oberösterreichischen Ort, der zunächst jedem anderen kleinen Dorf in Österreich zu ähneln scheint. Wichtige Treffpunkte sind die Kirche, diverse Zeltfeste oder ein dreißig Minuten entfernter Club, wo hin und wieder der Bürgermeister auflegt. Auch die Frauen gehen typischen Tätigkeiten nach – sie heiraten, pflegen ihre Obst- und Gemüsegärten und haben fast alle Kinder, die sie in den Fußballclub schicken. Allein die Dynamik zwischen den Bewohner:innen ist ungewohnt: Die Frauen zeigen eine bedingungslose Geschlossenheit, was ihnen, wie immer deutlicher wird, eine unheimliche Macht verleiht. Leser:innen wissen spätestens nach der Triggerwarnung, wie der zweideutige Titel Männer töten zu verstehen ist: Hier sterben Männer. Auch der „zuagroastn“ Anna Maria wird schnell klar, dass der Zusammenhalt der Frauen ungewöhnlich weit reicht. Welche Dimensionen er wirklich umfasst, zeigen die eingeschobenen Passagen, in denen die Frauen aus dem Dorf aus ihren eigenen Leben erzählen. Damit gewähren sie Anna Maria nicht nur einen tiefen Einblick in ihre persönlichen Erfahrungen und in die Geschichte des Dorfes, sondern eröffnen ihr auch eine Welt mit unerwarteten Möglichkeiten und Freiheiten.

Eingeteilt ist der Roman in vier große Kapitel, die strukturiert sind wie ein Jahr auf dem Land: Die Geschichte startet in der „Nebensaison“, köchelt in der „Schonzeit“ vor sich hin, läuft in der „Hauptsaison“ auf Hochtouren und gipfelt in der „Ernte“. Eva Reisinger zeigt sowohl ländliche als auch  städtische Spezifika auf, dabei bringt sie einiges auf den Punkt und bricht gleichzeitig mit manchen Klischees. Anna Marias Berliner Freundin etwa sträubt sich zuerst vehement dagegen, zu Besuch aufs Land zu kommen, da dort, so ist sie überzeugt, überall Nazis seien. Später schwingt sie im örtlichen Club ihre Haare – statt zu heftigem Techno eben zu scheppernden Ibiza-Hymnen von Sean Paul – und ist begeistert von der Gastfreundlichkeit der Nachbarinnen. Am Ende ist Engelhartskirchen eben doch nicht ganz Österreich …

Ein Dorf in Oberösterreich ist zweifelsohne ein ungewöhnliches Setting für eine matriarchale Gemeinde. Umso interessanter ist die unerhörte  Geschichte über ein paar Frauen, die Rache an ihren Gewalttätern nehmen. Eva Reisinger schreibt klar und direkt und versteht es, ein undurchschaubares komplexes Ambiente zu schaffen, das die Leserin/den Leser in den Bann zieht. Völlig unvermittelt und trocken leitet die Autorin skandalöse Wendungen ein. Die Schilderungen von patriarchaler, sexueller und psychischer Gewalt geht Eva Reisinger mit dem notwendigen Einfühlungsvermögen an, ohne die Drastik zu verwässern. Von Anfang an nimmt sie einem potenziellen Vorwurf des Männerhasses – sowohl von Leser:innen als auch Kritiker:innen – mit Figuren wie Hannes den Wind aus den Segeln. Als Freund der Protagonistin verkörpert er einen äußerst sympathischen und positiven männlichen Charakter.

Besonderen Spaß macht die Lektüre auch dank der den Text  durchziehenden popkulturellen Referenzen. Der Soundtrack zum Buch ist kein gefinkelter Marketing-Gag, sondern tatsächlich eine erhellende Lesebegleitung. Die Bandbreite reicht von PJ Harvey über Taylor Swift bis hin zu Haftbefehl. Anhören lässt sich die Playlist auf Spotify.

Eva Reisinger schmückt ihren Roman mit geistreichen Seitenhieben in Richtung Politik und Gesellschaft. Das Fazit: „Was nach Satire klingt, ist in Österreich viel zu oft Realität.“ Insgesamt ist Männer töten ein raffiniert konstruiertes Plädoyer dafür, dass die zahlreichen Femizide keine unausweichlichen Naturkatastrophen sind, die hingenommen werden müssen, sondern Verbrechen von Männern, die verhindert werden könnten.

 

Alexandra Höfle, geb. in Bregenz, studierte Deutsche Philologie, Publizistik und Kommunikationswissenschaft in Wien. Ausgebildet zur Kulturmanagerin an der Universität für angewandte Kunst. Arbeitet aktuell für den Kultursommer Wien und ist nebenbei Redakteurin beim Magazin Buchkultur.

Eva Reisinger: Männer töten.
Roman.
Graz/Wien/Berlin, Leykam: 2023.
288 Seiten, Hardcover.
ISBN 978-3-7011-8297-8.

Homepage der Autorin

Verlagsseite mit Leseprobe

Rezension vom 04.10.2023

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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