#Prosa

Arson

Laura Freudenthaler

// Rezension von Sabine Schuster

August 2023, eine sommerliche Hitzewelle mit Rekordtemperaturen liegt über Europa und Waldbrände verwüsten Urlaubsparadiese wie Rhodos, Hawaii oder Teneriffa. Abkühlung kommt im Paket mit Starkregen, Überschwemmungen und Murenabgängen. Heiß, wolkenlos, trocken, die einstigen Zutaten für einen herrlichen Sommer, sind zur ernsthaften Bedrohung geworden.

Feuer dominieren die täglichen Nachrichten, und auf Spezialseiten wie der des Global Fire Monitoring Center GFMC kann man das aktuellste Expert:innenwissen nachlesen.

Vor diesem Hintergrund erscheint Arson auf dem Buchmarkt, der neue Prosaband der Salzburger Autorin Laura Freudenthaler, die bereits mit ihren Romanen Die Königin schweigt (Droschl, 2017) und Geistergeschichte (Droschl, 2019) erfolgreich war. Arson, das englische Wort für Brandstiftung, kommt nicht weiter im Text vor, der Titel macht jedoch vorab klar, dass die Zerstörung, die innere und jene draußen in der Natur, vom Menschen ausgeht, dass das tägliche Brennen tief in uns selbst verwurzelt ist.

Arson ist kein Roman und behauptet dies auch gar nicht; Laura Freudenthaler erzählt in kurzen Textsequenzen aus der Innenperspektive ihrer beiden Figuren, ohne Gliederung, ohne Absätze, fragmentarisch, assoziativ, poetisch. Eine Frau und ein Mann: Sie, die Rastlose, flieht nach mehreren Wohnungswechseln verletzt aus der Stadt und nistet sich auf einem verlassenen Landgut ein. Er, der Schlaflose, ein Experte für Wildfeuer am meteorologischen Institut, verbringt die Nächte über den Feuerkarten, die weltweit jeden Brand verzeichnen, als ließe sich kontrollieren, was längst außer Kontrolle geraten ist. Feuer, Dürre, Hitze überall.

„Ich muss zu überleben beginnen“, lautet ein zentraler Satz der Heldin, ihre Vorräte sind aufgebraucht, was es noch gibt, ist schwer zu bekommen. Neben dem Bett Wollsocken und feste Schuhe, sie macht sich auf in die nächtlichen Straßen, es gilt, Wald zu suchen, feuchten Boden, Bäche und Quellen. Sie folgt der Spur der Tiere, durch ein Gittertor verschwinden schmale, lautlose Schatten, in der Gegend gibt es Wölfe. Sie lässt sich fallen, „auf die Hände, ein Reißen in den Sehnen. Los.“ (S. 12) „Wolfsstunde ist, wenn die Nacht am tiefsten ist, hat mit Dunkelheit nichts zu tun“, lernte das Mädchen schon von der Mutter. „Du brauchst keine Angst zu haben.“ (S. 141)

Schlaf, Traum und Wachsein fließen in dieser Prosa nahtlos ineinander, auf den surrealen Übertritt in die Wildnis folgt ein fast gewöhnlicher Weihnachtsabend mit Freundinnen in der Stadt, Gespräche über Beziehungen, ein Ausstellungsprojekt, zum Nachtisch gibt es Schokoladenkuchen und die Frauen tanzen. Durch die weit geöffneten Fenster dringt das Heulen der Sirenen, es ist eine milde (Dezember-)Nacht. Diese äußere Realität, repräsentiert durch die Freundin, die Schwester oder durch Ulrich, mit dem die Erzählerin in den Urlaub auf eine karibische Insel fliegt, um ihn dann zu verlassen, verliert zunehmend an Kontur, als der Feuerwächter seinen Platz im Leben der Heldin einnimmt. Er ist besessen von den Waldbränden, die er als Wissenschafter überwacht, bisweilen spürt er Brände voraus und brennt selbst an den Monitoren sitzend aus. Unter Anleitung einer Therapeutin protokolliert er seine schlaflosen Nächte, während seine Freundin vergeblich versucht, ihre Träume aufs Papier zu bringen. „Wenn ich die Erinnerung herüberführe, weiß ich bereits, dass es hier keine Wörter dafür gibt. Die Sprache von drüben schafft nie den Übergang. Bilder kann ich mitnehmen und fälschen, indem ich sie aufschreibe. Ich muss mit dem arbeiten, was ich habe.“ (S. 23)

Der Mann und das Feuer – ihre Bilder überlagern einander, hier die Leichtfüßigkeit der Flammen, da sein leichter, rascher Schritt, sein Pfeifen, nicht mit den Lippen, sondern aus der Tiefe des Körpers, eine Atemnot und zugleich ein Singen. Die Haut ausgetrocknet, die Augen entzündet, kommt er von seinen Glutfeldern zurück, auf seinen Wangen schuppige, heiße Flecken. Seine Hände, von alten Brandwunden gezeichnet, sind gefühllos geworden. Auch die Erzählerin wird von dieser Versehrtheit erfasst: „Einmal ist in meinem Gesicht die Unterlippe aufgerissen, ein kleiner Spalt in der Mitte.“ (S. 70). Später ist ihr Mund eine einzige Wunde, jeweils eine Naht innen und mehrere außen, um die Haut zusammenzuhalten. Die Lippen nicht bewegen, nicht sprechen, nicht lachen, befiehlt die Ärztin. Mit Papier, Bleistiften und einem Vokabelhaft verlässt sie die Stadt. „Kann im Moment nicht telefonieren, bitte schriftlich.“ (S. 132)

Die Wunde heilt nicht und wofür sie steht, kann man nur erahnen. Wie bereits in ihrem letzten Roman Geistergeschichte setzt die Autorin auch in Arson weniger auf eine klare Handlung ihrer Geschichte als auf detailgenaue Beobachtungen, auf Empfindungen des Körpers, auf das Sehen, das Hören, auf plötzliche Bewegungen, den Luftzug, auf Unschärfen und Irritationen. „Der Tag liegt so weit zurück, wie er noch fern ist, ich habe den Übergangsschlaf geschlafen und bin fremd. Meine Glieder liegen um mich herum, von der Mitte aus finde ich zurück. Ich bewege ein Bein, ziehe das andere heran, hole die rechte Hand ein, berühre die Hüfte, den Hals, die Stirn, ich stütze mich auf den Unterarm. Versuche, in der Dunkelheit Linien auszumachen und zu deuten. (…) Das Geräusch muss mich geweckt haben. Ein Streifen.“ (S. 7)

Morgens steht die Erzählerin vor dem Haus, auf dem Feld hat es in der Nacht gebrannt, von schwarzen Haufen steigt Rauch auf. Sie ernährt sich von Rosinen und Sonnenblumenkernen, durch die Mundwinkel geschoben, wie die Maus, die regelmäßig vor ihrem Erdloch erscheint. Trinkt Wein mit einem Plastikstrohhalm, die Zigarette ist ein wenig dicker, aber auch das geht. Akribisch protokolliert sie ihren Alltag, den Wald, die Tiere, die Landschaft, die unbemerkte Ausbreitung des Erdfeuers, das innerhalb weniger Stunden zum Vollbrand wird. „Trockenheit, viel Brandmaterial, Kiefern- und Fichtenbestand. Ein Kronenfeuer überspringt sämtliche Hindernisse, Brandschneisen, Straßen und Flüsse, wenn Wind aufkommt. Dazu macht sich das Feuer seinen eigenen Sturm. Die Flammen reiten durch die Luft, aus der Feuerwolke oben blitzt es, der Niederschlag aber verdampft, ohne dem Erdboden auch nur nahe zu kommen.“ (S. 155)

„Mit meiner verbrannten Hand schreibe ich über die Natur des Feuers“ steht in Ingeborg Bachmanns spätem Roman Malina. Laura Freudenthaler greife diesen Satz tief an seinen Wurzeln auf und über-setze ihn im doppelten Sinn des Wortes in die Verhältnisse des 21. Jahrhunderts, schreibt Klaus Kastberger in seiner im Presse-Spectrum vom 26.08.2023 erschienenen Kritik von Arson.
Ihr Leben lang suchte Ingeborg Bachmann nach Worten, um gegen das Vergessen des Holocaust und des Krieges anzuschreiben. Ihre Schuldgefühle als Tochter eines Nazis wurde sie bis zum Ende nicht los.

Auch heute steht die Welt in Flammen und wir scheinen zum tatenlosen Zusehen verurteilt. Laura Freudenthalers poetische Interventionen bieten keine Handlungsanweisungen, im Gegenteil, sie werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten. Gerade deshalb sollten wir uns diesen Aufzeichnungen anvertrauen.


Sabine Schuster
, Studium der Germanistik und Publizistik an der Universität Wien (Abschluss 1992), Tätigkeit für die schule für dichtung in Wien, die IG Autorinnen Autoren und den Folio Verlag, ab 1993 im Team des Literaturhaus Wien, von 2001 bis 2023 Redakteurin des Online-Buchmagazins.

Laura Freudenthaler: Arson.
Prosa.
Salzburg: Jung und Jung Verlag, 2023.
256 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag.
ISBN: 978-3-99027-287-9.

Homepage von Laura Freudenthaler

Biografie von Laura Freudenthaler auf der Verlagsseite

Leseprobendownload-Link auf der Verlagsseite

Rezension vom 04.09.2023

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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