Sowohl für die Geschichte der Medien wie ihre Theoriebildung ist 1929 ein entscheidendes Jahr. Da ist zunächst und vor allem der Film. Der beginnende Siegeszug des Tonfilms schärft die Wahrnehmung des Stummfilms und trägt zu seiner raschen Musealisierung bei. Als der Film sprechen lernte, wurde das vor allem von den Schriftstellern keineswegs als Bereicherung, sondern als radikale Verarmung, als Verlust der mimetischen Dimension, empfunden, was Wolf Kittler am Beispiel Antonin Artauds abhandelt. Die große Geste, die dem Stummfilm eignet, hat wohl mitgeschrieben an Aby Warburgs archäologischem „Mnemosyne-Atlas“, ein Archiv der menschlichen Gefühle und ihrer Ausdrucksformen, dessen Einleitung Warburg 1929 verfaßte (Ulrich Port).
1929 war auch das Pilotjahr der ersten Versuche mit Televisionsübertragungen. Zwei Mädchen waren da zu sehen, sie sollen „Horch was kommt von draußen rein“ gesungen haben. Das war nicht zu hören – die Übertragung war tonlos – ist aber interessant. Zum einen, weil die beiden Beiträge, die sich damit beschäftigen (Stefan Andriopoulos, Brigit Schneider) nicht ganz einig scheinen, ob die Mädchen das wirklich gesungen haben oder nicht. Zum anderen, weil dieses Volkslied gut zur kollektiven Interpretation der neuen Technologie passt: die Welt kommt ins Wohnzimmer, was eine schöne medienhistorische Brücke zur jüngsten Begeisterung über die Errungenschaften des Internet herstellt. Spannend ist in diesem Zusammenhang auch eine kurze Analyse der Entwicklung des Testbilds – von den beiden Testmädchen zur klassischen Form der feinteiligen Auflösung in geometrische Muster von unterschiedlichsten Grau(später Farb)werten. Eines dieser späteren Testbilder ist im Band abgebildet und damit erhalten, denn von seinem ursprünglichen Fundort, dem Internet, ist es ebenso verschwunden wie eine ausführliche Beschreibung von Thaddaeus Podgrosky. Die Website wurde inzwischen vom Netz genommen, heißt es in einer Fußnote lapidar. Das ist schade, denn hier hätten sich medienhistorische Reflexionen geradezu angeboten. Birgit Schneider analysiert in ihrem Beitrag auch die medien- wie sozialhistorisch interessante Filmarbeit „Menschen am Sonntag“, die Robert Siodmak und Billy Wilder 1929 vorlegten. Wie fast immer, bleibt allerdings auch hier ein zentrales Detail des historischen Umfelds ausgeklammert: es ist eine besondere sozialhistorische Volte, einen Film über Menschen am Sonntag zu drehen, zu einer Zeit, da aufgrund der Massenarbeitslosigkeit der Sonntag als arbeitsfreier Tag für Millionen von Menschen jede Funktion verloren hatte.
Das ist vielleicht ein durchgängiges Problem medienhistorischer Ansätze, dass die Historie im größeren Blick gesehen leicht übersehen wird. Andererseits, und dafür ist der vorliegende Band ein guter Beweis, erwachsen aus medienhistorischer Forschung eine Fülle von Informationen und Interpretationshilfen für den historischen Gesamtprozess.
Aspekte der weiteren Beiträge sind u. a.: die kurzlebige Pariser Kunstzeitschrift „Documents“ (1929/30), die mit neuen Möglichkeiten von Bildwerten im Printbereich experimentierte (Inses Lindner), das 4D-Haus von Buckminster Fuller (Joachim Krausse), die Lochkartenmaschine von Herman Hollerith (Bernhard J. Dotzler), Bert Brechts radiophone Experimente am Beispiel der Uraufführung des „Lindberghflugs“ 1929 in Baden Baden mit Musik von Kurt Weill und Paul Hindemith (Hans-Christian v. Herrmann, Sebastian Klotz) oder Arnold Schönbergs Interesse an der Arbeit für Film und Radio (Marianne Kubaczek / Wolfgang Pircher).
Was man ein wenig vermisst, ist eine synthetisierende Zusammenschau, auf die leider auch das knapp zweiseitige Vorwort verzichtet. Von der optischen Präsentation her scheinen die Leser der Reihe Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft nicht älter zu werden. Das winzige Schriftbild ist schwer zu entziffern wie immer und der Satzspiegel so zweifellos schwieriger zu bewältigen als der Inhalt der zum Großteil spannend geschriebenen Beiträge.