Matz verfolgt das Ringen um einen „neuen Ort“ und eine neue Definition von Autorschaft innerhalb der technischen Entwicklung und der damit nach einer neuen Definition von Wirklichkeit verlangenden Situation. Sichtbar werden die radikal unterschiedlichen Ausschläge des Pendels z.B. gegenüber der Idee von Ehe und Familie etwa bei Flaubert, der sie mit Hohn und Verachtung bedenkt, während sie bei Stifter statisch ästhetisiert und ritualisiert werden. Solche Momente stellt Matz nicht unmittelbar gegenüber, sondern sie kommen in der Reihung der Kapitel zur Sprache, quasi in einer Steigerung fort vom Realen und Wahnhaften hin zu Abstraktion und Künstlichkeit. Parallel finden sich so Erfahrungen von Ausgeschlossenheit der drei Autoren: bei Flaubert durch die Epilepsie, bei Baudelaire durch die Syphilis, bei Stifter durch die bizarre Ehe mit einer Fast-Prostituierten, die ihn als Hauslehrer in höchsten Gesellschaftskreisen in eine Doppelexistenz zwingt. Doch nicht solche Parallelmomente sind Matz die Legitimation für seine Autoren-Trias, sondern deren zeitgleiche ästhetische Radikalisierung zugunsten einer zeitgemäßen Ausdrucksform.
Matz zeigt die Autoren im Konflikt mit sich selbst und ihrer Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft zur Zeit der Technisierung, die mit Fotografie und Eisenbahn neue Wahrnehmungsweisen und damit eine neue Objektivität generierte, die neue Ästhetiken einforderte – eine Forderung, die die drei Autoren unterschiedlich einlösten, jeweils aber setzten sie sich dabei ab von der Romantik. In diesem Sinn folgt Matz der Reflexionsspur bei Flaubert, der während der Arbeit an „Madame Bovary“ in unzähligen an Louise Colet gerichteten Briefen die ästhetischen Intentionen seiner Romanarbeit reflektiert. Flaubert entwickle hier eine „Mythologie der Moderne“, insofern eine singuläre Einzelhandlung zum Inbild der grenzüberschreitenden Regelverletzung wird. Immer wieder überrascht Matz mit Aktualisierungen in seinen Lesarten, indem er konkrete Vorverweise oder Bezüge zur Gegenwart herstellt: Emma Bovary sei so etwa die „Vorläuferin des modernen Medienmenschen, der nicht mehr zwischen Wirklichkeit und Fiktion unterscheidet (…), der in letzter Konsequenz das Imaginäre für wirklicher hält als die Wirklichkeit.“ (S. 97)
Der Verknüpfungspunkt zu Baudelaire ist biographisch gegeben, wenn dieser Flauberts Roman „Madame Bovary“ emphatisch in seiner desillusionierenden und amoralischen Schönheit rezensiert. Im Gegensatz zum Provinzmenschen Flaubert würde in Baudelaire zum ersten Mal der Dandy und hochmütige Stadtmensch sichtbar, Matz erkennt in ihm einen Vorläufer von Oscar Wilde und Pasolini. Baudelaire habe sich stilisiert und bereits auf seine Nachwirkung kalkuliert. Matz liest immer schon voraus: In Baudelairs nach Aufmerksamkeit heischenden Polemiken sieht er etwa eine Art Selbstreklame der Ich-AG, Baudelaires paradoxe Opposition zur Moderne sei wiederum Kennzeichen dieser Moderne selbst. Paradox, wie Baudelaire dem alten, baulich verschwindenden Paris nachtrauert und den technischen Fortschritt ablehnt, in dem er nichts sieht als ein Räderwerk von bürgerlichem Verwertungs- und Profitdenken. Für Baudelaire ist die Moderne nur in einer Kunst akzeptierbar, die der Moderne radikal widerspricht.
Widerspruch und Subversion sind für Matz aber auch bei Stifter gegeben, in dessen biographisches wie literarisches Zentrum er die tatsächliche Unmöglichkeit der Liebe gestellt sieht. Stifter wird in seiner ganzen bizarren Verzerrtheit gezeigt, während in seiner Harmoniesucht und Ideologie die Abgründe klaffen. Stifters berühmte „Vorrede“ zu „Bunte Steine“ sieht Matz als einen einzigen großen „Widerspruch gegen das Privileg des großen, leidenschaftlichen Menschen, das Primat des Dramatischen, Interessanten, Wichtigen, Außerordentlichen, gegen den Vorrang des Konflikts vor der Ruhe“ . (S. 295) Die Moderne definiere sich als Antimoderne, formuliert Matz sein konstitutives Paradoxon, und er belegt dies an Stifter in dessen Anachronismus: „Er tilgte (…) den Zeitbezug seiner Erzählungen (…) Fremdworte wurden beseitigt; wo in der früheren Fassung des Hagestolz junge Leute eine Eisenbahn benutzen, da sitzen sie in der späteren auf dem Kutschbock“. (S. 285) Minutiös rekonstruiert Matt die Wechsel in der Erzählperspektive im „Nachsommer“: „Heinrich begann als distanzierter Chronist, wechselte dann unauffällig in die Rolle des erlebenden Erzählers und erzählt nun wie ein Phänomenologe, der nur weiß, was er sieht. Doch auch diese Haltung ist fingiert.“ (S. 313) Matz sieht dadurch belegt, dass das verborgene Motiv des Romans nur sein könne, „einen Roman zu schreiben“. (S. 343) Hier wird er detektivisch und kriminologisch genau: Stifters „gesamte Konstruktion, die so sehr auf die ‚Wirklichkeit der Dinge‘ pocht, ist ein Gebilde dessen Einheit nur ästhetisch funktioniert“, der erste große „ganz und gar artifizielle Roman seines Jahrhunderts“ (S. 344f). Das Maximum an Künstlichkeit werde aber zuletzt im „Witiko“ erreicht, der für Matz einen zentralen Aspekt der „sprachbewußten Avantgarde“ des zwanzigsten Jahrhunderts vorwegnimmt: „Ein Roman bestehe nicht aus Wirklichkeit und aus wirklichen Dingen, er bestehe aus Worten.“ (S. 353) Die Figuren hier würden nie lebendig, und der Roman geriete in seinen Ritualen und Anhäufungen leerer Formen, Formeln und Rhythmisierungen zu einer abstrakten Kunst „minimaler Übergänge“ (S. 307) wäre als reine L’art pour L’art seiner Zeit weit voraus.
In einem kurzen Schlusskapitel spielt Matz noch seinen Clou aus: Die drei Autoren werden durch den singulären Leser Nietzsches zusammengeführt. Nietzsche habe schon früh den epochalen Stellenwert der drei Romane erkannt, die Franzosen aber als dekadent zurückgewiesen, während er Stifter pries (was hinlänglich bekannt ist). Nietzsche anerkennt Stifter gerade darum, weil er völlig außerhalb seiner Zorn-Zone lag, in dem Sinn, wie es Matz formuliert: „Sein Wert auf der Wagner-Skala betrug null.“ (S. 383) Nietzsche schätzte die apollinische Perspektivlosigkeit dieser artifiziellen und den Konflikt leugnenden Welt mehr als das sonst von ihm propagierte Dionysische der beiden französischen Autoren. Dieser Beleg zeigt in seiner Singularität die exzeptionelle Wachheit Nietzsches, die Studie von Matz legitimiert sich aber eher durch ihre weit aufgefächerte Beweisführung, die immer wieder auch wirkliche Rosinen findet im großen Kuchen der Informationen (wie etwa den Hinweis, dass Stifter einen dreibändigen „Robespierre“-Roman im Auge gehabt hatte; S. 287).
Weniger um ein neues Bild der drei Autoren geht es Matz, als sie an ihren produktionsästhetischen Kippstellen zu zeigen, in denen sich ihre jeweilige Weichenstellung in die Moderne eröffnet und aus der sich ihre Aktualität und Wirksamkeit ergibt. Die eine oder andere Verallgemeinerung erscheint dabei diskutierbar, wie etwa die Behauptung, dass erst hier ein „neuer Typus des Schriftstellers“ entstehe, „der seine eigene Gesellschaft und Klasse radikal ablehnte“ (S. 131); zu brüchig erscheint schon lange zuvor dieses Verhältnis bei einer Vielzahl von Autoren des Sturm und Drang, eines Lenz, Hölderlin und Kleist und des Vormärz; Büchners „Lenz“-Erzählung etwa setzt das Montage-Prinzip rund ein Jahrhundert vor der historischen Avantgarde ein, lange vor dem als Schnittpunkt ohnehin überhöhten Jahr 1857. Dennoch tut dies der Qualität der Studie keinen entscheidenden Abbruch, bietet Matz doch eine unvergleichlich intensive und anregende Lektüre, die in ihrem Detailreichtum und in ihrer Formulierungskunst mit höchstem sprachlichem Bewusstsein über vierhundert Seiten hin in ihrer Fülle immer wieder überrascht, beeindruckt und erquickt.