#Comic
#Hommage

Es war, als sollte der Comic ihn überleben.

Di. 14.5.2024

Franz Kafkas Werk im Spiegel der „neunten Kunst“.
Von Robert Crumb, Art Spiegelman bis Nicolas Mahler

// ein Feature von Stefan Maurer

 

Der Prager Schriftsteller Franz Kafka (1883–1924), dessen 100. Geburtstag in diesem Jahr unter anderem mit einer hochkarätig besetzten, auf der dreibändigen Biografie von Reiner Stach basierenden TV-Serie (Regie: David Schalko), aber auch mit zahlreichen Neuauflagen seiner Werke sowie einem nie versiegenden Strom an Sekundärliteratur gefeiert wird, ist ein weltweites Phänomen. Die globale Rezeption seines Werks kann wohl als einzigartig in der Weltliteratur bezeichnet werden.
Auffallend ist, dass Kafka und seine Texte immer wieder auch Comic-Künstler:innen inspirieren. Gerade im Jubiläumsjahr haben Graphic Novels mit Bezug zu dem Autor, der selbst ein gewandter Zeichner war, Hochkonjunktur.

 

So reichen die Versuche, Kafka und sein vielschichtiges Werk in und zwischen Panels einzufangen, vom US-amerikanischen Comic bis zum bandé dessinee und auch Manga. „Neben umfangreichen gezeichneten, epischen Kafka-Paraphrasen“, so Monika Schmitz-Emans in ihrem Standard-Werk Literatur-Comics, „schufen Comic-Autoren verschiedener Länder extrem minimalistische Comic-Versionen zu Kafka-Texten“.1

Das Insekt selbst kann nicht gezeichnet werden“

Dass Kafkas Bücher postum oft begleitet wurden von Illustrationen bzw. seine Werke bildende Künstler:innen angeregt haben, u. a. Hans Fronius (1903–1988) oder den mit Kafka bekannten Alfred Kubin (1877–1959), der 1932 einen Zyklus von sechs Federzeichnungen zur Erzählung Ein Landarzt (1917) vorlegen sollte, war zu Kafkas Lebzeiten keine Selbstverständlichkeit. Erinnert sei an die geplante Illustration von Ottomar Starke (1886–1962) für die Erzählung Die Verwandlung, die 1915 sein Verleger Kurt Wolff angekündigt hatte, und Kafkas postwendende Antwort: „Es ist mir nämlich, da Starke doch tatsächlich illustriert, eingefallen, er könnte etwa das Insekt selbst zeichnen wollen“, so Kafka an Wolff: „Das nicht, bitte das nicht! Ich will seinen Machtkreis nicht einschränken, sondern nur aus meiner natürlicherweise bessern Kenntnis der Geschichte heraus bitten. Das Insekt selbst kann nicht gezeichnet werden. Es kann aber nicht einmal von der Ferne aus gezeigt werden.
Trotz Kafkas Befürchtung der Depotenzierung der Schrift durch das Bild, sei als Fußnote angemerkt, dass in der Reihe „Der jüngste Tag“ des Kurt Wolff Verlags, der zu seiner Zeit (1913 bis 1940) der wichtigste Verlag für expressionistische Literatur in Deutschland war, auch Werke grafischer Künstler:innen erschienen, wie z. B. Die Idee (Kurt Wolff Verlag, 1927), ein 83 Holzschnitte umfassender Roman des belgischen Grafikers und Zeichners Frans Masereel (1889–1972), das vielen als ein Vorläufer der Graphic Novel gilt.

Kafkas Amerika & Little Nemo

Fest steht auch, dass das Werk Kafkas wie kein anderes von visuellen Diskursen der Moderne geprägt war, ging er doch liebend gerne ins Kino, und dieser Aspekt war auch dem italienischen Schriftsteller Roberto Calasso (1941-2021) aufgefallen, der etwa den unvollendeten Amerika-Roman Der Verschollene (1911–1914/1927) mit dem genuinen Entstehungsort und einer der Gründungsfiguren des modernen Comics eng führt:

Als Kafka den Verschollenen schrieb, war die Luft über der Großstadt […] in den deutschen Roman noch nicht vorgedrungen. Kaum aber beginnt Kafka New York zu beschreiben, da zeichnet sich die Szene mit der Klarheit des ersten Males ab – und mit der der Bilder von Little Nemo, auf denen die Farben Winsor McCays noch nicht getrocknet waren und die Kafka nie zu Gesicht bekommen hat.”2

Dass Calasso hier mit Winsor McCay (1871–1934) einen Pionier des Trickfilms und Zeichner mehrerer früher Comic-Strips, wie Dream of the Rarebit Fiend (1904ff.) und Little Nemo in Slumberland (1905–1911) anführt, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts wie wahre Bildsensationen für die Leser:innen der farbigen Sonntagsbeilagen der großen New Yorker Zeitungen ausnahmen, kann wohl kaum als Zufall gewertet werden.

Kafka „doodelt“

Darüber hinaus „doodelte“ der kunstbeflissene Kafka, der als Student auch Vorlesungen zur Kunstgeschichte an der Prager Universität besucht hatte und sich über neueste Entwicklungen der bildenden Kunst in den Zeitschriften Der Kunstwart und Neue Rundschau informierte, in seinen Tagebüchern und Heften, phantastisch und abstrakt anmutende Zeichnungen, die das Medium Comic präfigurieren. Diese Zeichnungen haben insofern Ähnlichkeit zu Comics, als sie Strichmännchen in durch wenige Kürzel groß und abstrahierend umrissenen, teilweise grotesk wirkenden Situationen zeigen, aber es sind, im Gegensatz zum Comic, nur Einzelbilder, wenn sich diese auch dynamisch ausnehmen.
Und nicht nur das: Kafka las auch die Bildergeschichten von Wilhelm Busch, der damit als Urgroßvater der Gattung einen Beitrag zu ihrer Ausdifferenzierung und Popularisierung – man denke u. a. an Max und Moritz (1865), das Kafka auch gelesen hat, bezieht er sich doch in In der Strafkolonie (1919) und in seinen Tagebüchern darauf –, leistete.

Kafkas „mediale Verwandlungen“ Robert Crumb, Homer Simpson, Art Spiegelman und Nicolas Mahler

Anhand ausgesuchter Adaptionen soll hier ein Überblick über Kafkas „mediale Verwandlungen“ (Schmitz-Emans) in die 1971 von Francis Lacassin (1931–2008) in einem gleichnamigen Essay so bezeichnete „Neunte Kunst“ für die Gattung Comic versucht werden. Die Liste an Adaptionen und/oder Bezugnahmen auf die Personen und das Werk Kafkas erhebt dabei aber keinen Anspruch auf enzyklopädische Vollständigkeit. Einige der erwähnten Comics sind bereits vergriffen oder nur mehr antiquarisch erhältlich.

Viele Comickünstler, die als bedeutende Repräsentanten der Gattung gelten können, haben die Herausforderung angenommen, Kafkas Erzählungen zu adaptieren: Die Mehrheit davon stammt aus den USA, wie Will Eisner (1917–2005), Robert Crumb (* 1943) und Peter Kuper (* 1958), die in einen Dialog mit Kafka getreten sind, und mehr gemacht haben als nur seine Texte zu illustrieren. Kuper, der 1995 unter dem Titel Give It Up! (NBM ComicsLit, als: Gibs auf! 1997 bei Carlsen) einige Arrangements von u. a. Kurzprosa wie Ein Hungerkünstler, Ein Brudermord und Die Bäume vorlegte, hat dann auch zweimal in völlig konträrer Art Die Verwandlung (1915) bearbeitet. Einer dieser beiden Adaptionen – The Metamorphosis (Three River Press, 2003) – hat er eine Einleitung vorangestellt, in der er die Verwandtschaft der Kafka’schen Imagination mit in Comics gestalteten Phantasien hervorhebt, dabei kommt Kuper auch auf den bereits erwähnten Winsor McCay und dessen Gemeinsamkeiten mit Kafka zu sprechen, die er im Interesse beider Künstler am Alptraumhaften sieht. Kupers andere Bearbeitung kann als Indiz dafür gelten, wie Literatur wirkungsmächtig in die Populärkultur einsickern kann: Im parodistischen Comic-Strip Metamorphsimpsons, das in Bart Simpson’s Treehouse of Horror #6 aus dem Jahr 2001 erschienen ist, erwacht Homer Simpson „eines Morgens aus unruhigen Träumen“ und findet sich „in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer“ verwandelt.

Auch für alle „Donaldist:innen“ gibt es aus dem Hause Disney eine Adaption, nämlich Die Verwandlung des Gregor Ducksa (La metamorfosi du un papero), die 1991 von Nino Russo und Zeichnungen von Andrea Freccero veröffentlicht wurde.3

Will Eisner, Sohn jüdischer Einwanderer aus Osteuropa und „Vater“ der Graphic Novel, hat eine Paraphrase, eigentlich sogar eine Fortsetzung des Process‘ (1914/15; 1925) unter dem Titel The Appeal vorgelegt (vgl. Will Eisner’s Quaterly 8, 1985), wobei Eisner die Handlung des Romanfragments zusammenfassend weiterspinnt. Ein alter Mann findet in seiner Wohnung vier Personen vor, wobei eine davon der Anwalt des „Kläger“ ist, der sich als „Herr K.“ herausstellt, die beiden anderen Personen sind die Jury. Der alte Mann ist nicht nur Richter in K.s Fall und Mitglied des Gerichts gewesen, das die unspezifizierte Anklage gegen K. erhob und ebenso jener Mann, der am Fenster stehend der Hinrichtung K.s beiwohnte: „Wie ein Licht aufzuckt, so fuhren die Fensterflügel eines Fensters dort auseinander, ein Mensch schwach und dünn in der Ferne und Höhe, beugte sich mit einem Ruck weit vor und streckte die Arme noch weiter aus.“4

In seinem autobiografischenComic Breakdowns (1977, Neuaufl. 2008/2022) referenziert der vielfach ausgezeichnete Cartoonist und Comic-Autor Art Spiegelman (geb. 1948) Kafka, in dessen Verwandlung er als Schüler die Motive der Horrorgeschichten der US-amerikanischen EC-Comics der 1950er Jahre erkennt. Spiegelman hat darüber hinaus in einem Interview eine von Kafkas Tierfabeln als den Ideengeber für seinen Holocaust-Comic Maus (1986; 1991) genannt, die Figuren als Tiere, die Juden als Mäuse, die Deutschen als Katzen etc. darzustellen:

Ich dachte an die Erzählung Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse. Juden wurden an keiner Stelle erwähnt. Aber als Kafka darüber schreibt, wie Josefine ihre tränenreichen, tragischen Lieder singt, um das Mausvolk zusammenzuhalten, wusste ich, dass es um Juden geht. Diese Metapher war die Grundlage, auf der ich etwas aufbauen konnte.“5

Mit Kafka for Beginners (1993) legten Robert Crumb und David Zane Mairowitz (geb. 1943) „eine igeniöse Fühlungsnahme mit dem Prager Erzähler“6 vor, die mittlerweile zum Kultbuch avanciert ist und die „Kafka-Ikonografie“ wesentlich prägte. Die Rahmenerzählung bildet Kafkas Biografie, eingefügt sind Paraphrasen ausgewählter Werke. Der Band ist in diesem Jahr bei Reprodukt neu aufgelegt worden.

Mairowitz adaptierte darüber hinaus gemeinsam mit der Zeichnerin Chantal Montellier (geb. 1947) mit Der Process (als The Trial 2008 bei SelfMadeHero, 2013 bei Knesebeck) wohl auch das bekannteste Werk Kafkas, das mit holzschnittartigen Illustrationen und kontrastreichen Detailreichtum eine (alp-)traumhafte Atmosphäre erzeugt, die stark symbolhaft aufgeladen ist.
Die Adaption von Das Schloss (The Castle 2013 bei SelfmadeHero, 2013 bei Knesebeck), bei welcher ebenfalls Mairowitz für die Texte verantwortlich war, während Jaromír Švejdík (geb. 1963) unter seinem Pseudonym Jaromír 99 die Illustrationen vornahm, geht grafisch in eine andere Richtung. Švejdíks Zeichnungen sind brachial, gleichzeitig weniger realistisch und düsterer, dabei aber konturenhaft und erinnern an den belgischen Grafiker Frans Masereel.

Auch im deutschsprachigen Raum gibt es eine Reihe herausragender Adaption wie jene der Novelle Das Urteil (1913) von Moritz Stetter (geb. 1983), die 2015 bei Knesebeck erschienen ist oder die grafische Reportage Die Aeroplane von Brescia (1909) von Moritz von Wolzogen, die 2022 in der Edition Nathalia Laue erschienen ist und sich auf einen weniger bekannten Text des jungen Kafka bezieht. Alexander Pavlenko (geb. 1963) und Thomas Dahms (geb. 1965) haben mit Verwandelt. Franz Kafka – Leben Lieben Literatur (Knesebeck, 2024) eine Comic-Biografie der besonderen Art vorgelegt, die in eine Rahmenerzählung seiner Lebensgefährtin Dora Diamant (1898–1952) eingefügt ist. Diamant erzählt einer Freundin, die sich für das literarische Werk Kafkas interessiert, kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs in London. „Wir waren nicht verheiratet, und ich weiß auch nicht alles über Franz, aber was ich weiß, will ich dir erzählen“, eröffnet Diamant, die Kafka zuletzt am Sterbebett im Sanatorium in Kierling (Niederösterreich) pflegt, ihre Erzählung.

Nicolas Mahlers (geb. 1965) charakteristischer reduktionistischer und karikierender Stil sowie seine Beschäftigung mit dem Prager Schriftsteller war bislang nicht nur in Franz Kafkas nonstop Lachmaschine (Reprodukt, 2014) zu bewundern, mit Komplett Kafka (Suhrkamp, 2023) hat der mehrfach ausgezeichnete Comic-Zeichner jüngst eine ganz besondere Art der Hommage vorgelegt. Mahler, der auch Comic-Adaptionen von Werken Thomas Bernhards, Elfriede Jelineks und James Joyce’ realisierte, legt eine Biografie Kafkas vor, die auf dessen Person, aber auch das Werk sowie Hintergründe rekurriert und dabei auf das illustrierende Zitat, aber auch das zitierende Illustrieren setzt. Ähnlich wie in der Graphic Novel von Crumb und Mairowitz erzählt auch Mahler die bekanntesten Texte, wie etwa Die Verwandlung paraphrasierend nach, und liefert dabei einen Metakommentar, wenn er sich und seine Leser:innen be- und hinterfragt, was Kafka zu Mahlers Ikonografie des Insekts gesagt hätte.

Abschließend sei noch auf einen Manga von Nishioka Kyodai, das sind die Geschwister Satoru Nishioka und Chiaki Nishioka, hingewiesen. Von einer mittels reduzierter Linienführung erzeugten Unheimlichkeit sind die unter dem Titel Kafka (Villagebooks, 2010; Pushkin Press, 2023) erschienenen experimentellen Adaptionen von neun Erzählungen Kafkas, die u. a. Ein Landarzt (1918) und Ein Hungerkünstler (1922) umfassen. Auf Lautmalerei bzw. andere Stilmittel und Effekte, die für den Manga typisch sind, wird verzichtet. Die Figuren sind abstrakter und stilisierter, die Hintergründe reduziert und auch mit nur wenig Text schaffen es die Zeichnungen, die bedrückende Atmosphäre, etwa der Erzählung In der Strafkolonie, zu erzeugen.

1. Monika Schmitz-Emans: Literatur-Comics. Adaptionen und Transformationen der Weltliteratur. Berlin, Boston: De Gruyter 2012, S. 176.

2. Roberto Calasso: K. Aus d. Italienischen von Reimar Klein. München: Hanser 2006, S. 189–190.

3. https://www.duckipedia.de/LTB_173

4. Franz Kafka: Der Process. Roman. Hrsg., kommentiert und mit einem Nachwort von Reiner Stach. Göttingen: Wallstein 2024, S. 243.

5. https://www.derstandard.at/story/3000000207767/art-spiegelman-amerika-verwandelt-sich-gerade-in-zwei-laender

6. Andreas C. Knigge: Zeichen-Welten. Der Kosmos der Comics. In: Text und Kritik Sonderband: Comics, Mangas, Graphic Novels. München: Edition Text + Kritik 2009, S. 5–34 , hier S. 7.

Literaturhaus Wien Team: Stefan Maurer, Foto: © Lukas Dostal

Literaturwissenschaftler, Leiter der Bibliothek und des Archivs am Literaturhaus Wien. Zahlreiche Veröffentlichungen zur österreichischen Literatur und zur Theorie des Archivs. Zuletzt erschien Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945 (Böhlau, 2020) und hg. gem. m.Hanna Prandstätter Verschachtelt und (v)erschlossen. Gefühlserkundungen im Archiv (Literaturedition Niederösterreich, 2023).

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