Verkehrte Zeit
Die Zeit zerfällt und ist nicht mehr Nochnicht
der Spiegel sieht dem Spiegel ins Gesicht
Die Folge treibt den Anlaß vor sich her
nichts wird aus allem, weniger wird mehr
Das Nächste ist wie keine Ferne fern
die Liebe aber hat man nicht mehr gern
Der Undank herrscht: der Dank hat abgedankt
die Wahrheit ist an Größenwahn erkrankt
Es heißt der Trost sei nicht mehr ganz bei Trost
und übers Mitleid sei das Leid erbost
Das Gestern kommt, der Morgen bricht nicht an
das Heute häutet sich so oft es kann
– Erich Fried
© Verlag Klaus Wagenbach
Das „Internationale Poesiefestival“ setzt fort, was das „Internationale Literaturfestival Erich Fried Tage“ bis 2022 entwickelt hat, nämlich Präsentation und Austausch von Literatur aus dem internationalen Raum, allerdings mit dem klaren Fokus auf Poesie, als konzentrierteste und direkteste literarische Ausdrucksform. Poetisches Sprechen überwindet Grenzen, in jedweder Hinsicht.
Einem Gedicht von Erich Fried ist Titel und damit auch Programm entlehnt: „Verkehrte Zeit“. Kürzer und prägnanter lässt sich die Gegenwart kaum beschreiben. Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek reagiert auf das Motto des Festivals so: „Die Zeit, verkehrt gelesen, geht schon wieder voran, aber sie geht dann nach hinten los.“
Wie Poesie mit den „verkehrten Zeiten“ umgeht, mit gesellschaftlichen und politischen Umbrüchen und Verwerfungen, wie Sprache sich verändert, was die Zeiten mit Poesie und Poet:innen tun, welche Formen und Gestalt der lyrischen Auseinandersetzungen sich entwickeln, dem geht das Festival nach. Unterschiedlichste Ausdrucksweisen zeitgenössischen lyrischen Sprechens werden mit einbezogen und eröffnen so ein breites Spektrum gegenwärtiger Poesie.
Den Auftakt bildet am Eröffnungsabend die Wiener Rede zur Poesie des Georg Büchner Preisträgers 2024, Oswald Egger, Dichter mit Südtiroler Wurzeln, Professor für Sprache und Gestalt in Kiel. Seine Rede trägt den Titel: Unverkehrbarkeit. Vom Vom zum Zum.
Eine zentrale Verbindungslinie zum Festival bildet das Mayröcker Residence Programm (Idee und Durchführung: Anne Zauner): Die frühere Wiener Wohnung und Arbeitsstätte der Jahrhundertdichterin Friederike Mayröcker steht seit Anfang 2025 für Stipendiat:innen eines vom Bund getragenen und vom Literaturhaus Wien umgesetzten Residence-Programmes zur Verfügung. Eingeladen für Stipendien-Aufenthalte sind internationale Dichter:innen, die sich v. a. der experimentellen Lyrik verschrieben haben, in Nachfolge oder Nähe zum poetischen Ansatz von Friederike Mayröcker. Die 5 Stipendiat:innen des Residence-Programmes 2025 werden beim Festival auftreten.
Kuratoren: Florian Baranyi und Robert Huez
Literaturhaus Wien, in Kooperation mit der Internationalen Erich Fried Gesellschaft
Hier kommen Sie zu den weiteren Veranstaltungen des Festivals:
Eröffnung, 3.6.2025
Tag 1, 4.6.2025
Tag 2, 5.6.2025
Tag 3, 6.6.2025