#Roman

Tiny House

Mario Wurmitzer

// Rezension von Alexandra Höfle

Emil lebt auf 24 Quadratmetern. Die Wände sind dünn, die Einrichtung minimalistisch, der Blick der Welt allgegenwärtig. Tag und Nacht flimmert sein Leben über zahllose Bildschirme: Emil präsentiert einen Prototyp der Modern Home GmbH. Doch bald gerät die kontrollierte Ordnung ins Wanken. Was folgt, ist eine Mischung aus Satire und Wirtschaftskrimi, inspiriert von realen politischen Ereignissen.

Mario Wurmitzer entwirft seinen Roman Tiny House ausgehend von einem gleichermaßen skurrilen wie erschreckend realistischen Szenario: Emil – ein Autor, der „zurzeit nicht schreibt“ (S. 20) – lebt in einem Tiny House der Modern Home GmbH. Sein Leben dient dem Immobilienunternehmen als Content: Interessent:innen können Emils Dasein rund um die Uhr per Livestream beobachten und sich vom minimalistischen Wohntraum auf 24 Quadratmetern überzeugen. Privatsphäre ist hier längst zu einer nostalgischen Idee verkommen. Doch dann erschüttert eine Serie unaufgeklärter Brände die Musterhaussiedlung. Emil verliert nicht nur sein Zuhause, sondern auch seinen Arbeitsplatz. 

Was ihm bleibt, ist die digitale Reichweite – und dank der bleibt er auch nicht lange unbeschäftigt. Martin Krämer, ein ehemaliger Schulkollege und Gründer von PayNice, wirbt Emil an. Mit seiner Affinität zu Social Media soll er Martin und seinem Unternehmen zu einem besseren Image verhelfen. Von Anfang an ist Emil das undurchsichtige Firmenkonstrukt suspekt. Doch so genau möchte er die Hintergründe des Zahlungsdienstleisters gar nicht hinterfragen, denn immerhin: Die Festanstellung verschafft ihm ein Gefühl vermeintlicher Stabilität und Reife. 

Trotzdem bestätigen sich Emils Befürchtungen schnell: Hinter der Fassade aus Teamgeist und Start-up-Floskeln regieren dubiose Geschäftspraktiken. Auch mit seinen Kolleg:innen wird Emil nicht warm. Die Führungskräfte erscheinen ihm wie „Hochstapler, Managerdarsteller, Jungen und Mädchen, die ihr Finanzwissen von YouTube, Signal und Discord beziehen“ (S. 48). Die scheinbaren Vorzüge der modernen Arbeitswelt – wie Tischtennistische oder Teamtrips – dienen weniger dem Miteinander als der Markenpflege. Für die einen mögen die offenen Räumlichkeiten aus Glas modern wirken, für andere sind sie ein Mittel, Mitarbeitende zu beobachten. Der Inhaber und Geschäftsführer schreibt Loyalität groß. Er predigt Vertrauen, meint aber Kontrolle. Der Protagonist kommentiert trocken: „Kein Gott, kein Staat, nur Martin.“ (S. 43) 

PayNice endet, wie es enden muss: bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. Martin wird – als „Resultat einer beispiellosen Schmutzkübelkampagne“ (S. 133) – per internationalem Haftbefehl wegen schweren Betrugs gesucht. Trotz längst entlarvter Machenschaften zeigt sich Martin unbeirrt und kämpft darum, die bröckelnde Fassade des PayNice-Imperiums aufrechtzuerhalten. Wurmitzer versteht es, pointiert auf österreichische Wirtschafts- und Politskandale anzuspielen, die bekanntlich reichlich Stoff liefern. So eng verschränkt sich hier Fiktion mit Realität, dass man manches für übertrieben und erfunden halten müsste – wäre es nicht so bitter vertraut.  

Mit sicherem Gespür für das Tragikomische entwirft Wurmitzer darüber hinaus eine Galerie an Nebenfiguren, die als Zerrspiegel unserer Gegenwart wirken: etwa Emils ehemalige Arbeitskollegin Helene, die inhaltsleere Marketingfloskeln mit missionarischem Ernst vorträgt, oder Klara, Emils Partnerin, die sich in Ego-State-Therapien und Selbstoptimierungs-Apps verliert. 

Wohnen, Arbeiten, Fühlen – in Tiny House wird alles ökonomisch verwertet. Der Titel fungiert nicht nur als Schauplatz, sondern auch als Metapher für soziale Isolation und permanente Überwachung. Mit Ironie und bewusster Überzeichnung legt der Autor die Absurditäten einer digitalisierten, durchökonomisierten Welt offen. Wurmitzers trockener, subtiler Humor ist durchgehend intelligent – doch komische Wirkung entfaltet er nicht immer. Manche Szenen wirken unterkühlt – pointiert, aber emotional distanziert. 

Insgesamt gelingt Mario Wurmitzer ein gegenwärtiger Roman, der aktuelle Fragen stellt, ohne in Belehrung abzugleiten. Stattdessen lädt er dazu ein, genau hinzuschauen – auf das eigene Leben, auf die Art, wie wir wohnen, arbeiten und kommunizieren. 

 

Alexandra Höfle, geboren in Bregenz, studierte Deutsche Philologie, Publizistik und Kommunikationswissenschaft in Wien. Eine Ausbildung zur Kulturmanagerin absolvierte sie an der Universität für angewandte Kunst. Berufliche Stationen führten sie zur Edition Atelier, zur Buch Wien und zum Kultursommer Wien. Derzeit arbeitet sie an einer Buchreihe für das Medienhaus 1000things und ist außerdem als Redakteurin für das Magazin Buchkultur tätig. 

Mario Wurmitzer Tiny House
Roman.
Berlin: Aufbau Verlag, 2025.
221 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag.
ISBN 978-3-351-04231-8

Verlagsseite mit Informationen zu Buch und Autor sowie einer Leseprobe

Rezension vom 23.05.2025

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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