#Prosa

Sieben Sündenfälle.

// Rezension von Helmut Sturm

Von Sünden zu reden in einer säkularisierten Welt ist ein Spiel von Werbetextern geworden, wer traditionell von Sünde redet, setzt sich schnell dem Verdacht schwarzer Pädagogik aus. Umgekehrt können wir nicht erst seit David Finchers „Seven“ eine Faszination der Populärkultur für das Konzept der sieben Haupt- oder Todsünden bemerken. Wie die zauberhaften Hexen in der bei zehn- bis zwölfjährigen Mädchen beliebten Fernsehserie „Charmed“ macht nun der Schriftsteller und Lehrer Norbert Silberbauer Zorn, Trägheit, Wollust, Geiz, Hochmut, Unmäßigkeit und Neid zum Thema seines neuen Erzählbandes. Es ist nicht das erste Mal, dass der Niederösterreicher eine Liste aus dem Katechismus abarbeitet, nach den „elf Geboten“ aus dem Jahr 2002 (erweitert um „Du sollst nicht Sport treiben“) nun also das Sündenverzeichnis.

Wie bei Brechts „Die 7 Todsünden der Kleinbürger“ handelt es sich bei Silberbauers Protagonisten um Menschen, die im Provinziellen verhaftet bleiben. Ob Bürgermeister, Journalist, Entertainer auf ländlichen Hochzeiten, Beamter oder ehemalige lokale Fußballgröße, sie sind allesamt männlich. Frauen kommen zwar vor, vor allem jedoch als Objekte sexueller Begierde und das nicht nur in der Erzählung „Die Wollust“. Norbert Silberbauer greift sprachlich gern grob zu (wie er es sich in der Schule wohl verbieten müsste), Max etwa „liebt Ärsche“, „fickt“ und denkt „eine Jüngere wäre besser“. Aber es wird auch gerülpst und erbrochen und viel gelitten. Vor allem leiden die Männer, alle im Alter zwischen fünfzig und sechzig, an der ihnen dämmernden Einsicht, nicht mehr jung zu sein. Anlass für die Krisen sind zumeist Feste – Ostern, Geburtstag, ein Benefizspiel und immer wieder Weihnachten.

Die Männer, die in die Sündenfalle tappen, haben mit Religion, hier mit dem Christentum, nichts im Sinn. Sie kennen populäre Einwände gegen sie, zitieren schon mal das Theodizee-Problem als Grund sich von ihr fern zu halten. Aber auch auf diesem Gebiet verhalten sie sich grobschlächtig. Da gibt es kein intellektuelles Abwägen, was zählt, ist das Holzhammerargument. „Max mag keine Religion, die sich an einem Gefolterten, ans Kreuz geschlagenen Mann ergötzt und die vielleicht deswegen in ihrer eigenen Geschichte selbst so oft zur Gewalt gegriffen hat. Hätte es damals schon den elektrischen Stuhl gegeben, […] würde wohl in jeder Kirche, jeder Küche, jeder Schulklasse, jedem Amtsraum ein elektrischer Stuhl mit einem Hingerichteten darauf hängen.“ Da möchte fast der Gebildete unter den Verächtern der Religion zu ihrem Apologeten werden.

Norbert Silberbauer kennt seine Generation. Er ist ein genauer Beobachter und Kenner vor allem des kleinstädtisch-ländlichen Lebens und demaskiert lustvoll und schonungslos das scheinheilig Verlogene ohne dabei seine Protagonisten zu Unmenschen zu machen. Sie bleiben alle irgendwie vertraute Zeitgenossen, an denen sich die eine oder andere Schwäche halt besonders zeigt. Das Misanthropische ist bei Silberbauer ein wenig Attitüde, Verkleidung, so wie auf dem Buchcover, auf dem ein Mann in Soutane mit Mikrofon und pompösen Fingerschmuck sowohl an Elvis als auch an einen übergeschnappten Priester denken lässt.
Silberbauer erzählt durchwegs linear, der Spannungsbogen bleibt zumeist eher flach, Witz und Kalauer sollen für Kurzweil sorgen. Das Ende der Geschichten wirkt bei den besten überraschend, bei anderen zu sehr konstruiert. In jedem Fall bieten sie Beiträge zur Beantwortung der letzten Frage des Buches: „An welchem Tag bin ich alt geworden?“ Wer diese Frage für brennend hält, hat mit den Sieben Sündenfällen ein Buch für das Nachtkästchen.

Erzählband.
Wien: Picus Verlag, 2008.
199 S.; geb.
ISBN 978-3-85452-627-8.

Rezension vom 19.05.2008

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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