Es ist eine wohl so nicht zu wiederholende Biografie, die der Germanist Klaus Amann vorzuweisen hat. 1949 in ärmlichste Verhältnisse im vorarlbergischen Mittelberg im Kleinwalsertal geboren, ist der Lebenslauf dieses Wissenschaftlers einer des steilen Aufstiegs. Nach dem Besuch eines Realgymnasiums in Stams in Tirol studierte er Germanistik und Anglistik an der Universität Wien, wurde dort 1976 über Adalbert Stifters Der Nachsommer promoviert und im selben Jahr Hochschulassistent in Klagenfurt, wo er 1986 habilitiert wurde.
1994 übernahm er die Leitung des neu gegründeten Robert-Musil-Instituts für Literaturforschung / Kärntner Literaturarchiv. Drei Jahre später wurde er außerordentlicher Professor und, ebenfalls in Klagenfurt, im Jahr 2005 auf den neu geschaffenen Lehrstuhl für „Geschichte und Theorie des literarischen Lebens“ berufen. Daneben projektierte er von 1991 bis 1994 und neuerlich von 2007 bis 2022 die St. Veiter Literaturtage, war von 1992 bis 1997 Mitglied der Jury des Ingeborg-Bachmann-Preises – in dieser Zeit gewannen den Hauptpreis unter anderem Alissa Walser und Franzobel – und war 2009 der erste Österreicher, der zum Präsidenten der Internationalen Musil-Gesellschaft gewählt wurde; als solcher amtierte er bis 2016. 2014 wurde er emeritiert.
Wenige Wochen nach seinem 76. Geburtstag ist nun dieser Sammelband erschienen, der neun Texte und sieben Ansprachen, Reden, Elogen versammelt. Dazu gesellt sich ein fast 30 Seiten langes Schriftenverzeichnis. Den Auftakt bildet statt eines Vorworts ein Essay voller Erudition über österreichische Literatur. Oder heißt es genauer: Literatur aus Österreich? Aber was genau ist das? Was meint das? Und in welche Fallen der Stereotypen und Stereotypisierungen, der falschen, weil bedeutungsleeren Klassifikationen und der klappernden Klischees tappt man da? Schon hier wird umrissen, worum es Amann in seinem Forscherleben ging, um einen anderen, frischeren, historisch kundigeren Zugang zu Literatur wie zu einer Historie der Germanistik, die selbstreflexiv ist. Jahrelang hat er sich mit diesem Komplex des fachwissenschaftlichen Verschweigens und mit der „Sklavensprache“ der Literatur der dreißiger und vierziger Jahre des 20. Jahrhunderts auseinandergesetzt.
Die Reden zeigen dann wieder einen anderen Amann. Überzeugend führt er vor, dass auch Germanisten elegant formulieren können und sogar über Esprit und sprachliche Anmut verfügen. So setzt sein Nachruf auf Gert Jonke folgendermaßen ein: „Mir ist Gert Jonke immer wie ein aus dem Nest gefallener Vogel vorgekommen: zart und zerbrechlich, nicht ganz von dieser Welt, aber mit dem Zeug zum Fliegen: ein Geschöpf, das sich von der Erdenschwere befreien kann.“ (S. 313) Ein anderer Nekrolog ist Werner Kofler gewidmet. Eine dritte Rede ist eine Hommage an Bodo Hell, eine andere eine Würdigung Josef Winklers anlässlich der Zuerkennung des Österreichischen Würdigungspreises für Literatur im Jahr 1992. Und auch hier vermag Amann einen sehr persönlichen, so wohl kaum erwarteten, sensitiv sinnlichen Zugang zu präsentieren. Denn: „Mitte der 1970er Jahre war Josef Winkler als ‚Schreibkraft‘ in der Verwaltung der Universität Klagenfurt beschäftigt. Dort bin ich ihm zuerst begegnet. Ich erinnere mich an einen etwas scheuen, sehr jugendlichen Menschen, leicht gebeugt, schon damals, mit manchmal entschlossen-abrupten Bewegungen vor allem im Weggehen, im Abwenden, wenn er das Gefühl hatte, das Gespräch sei erschöpft, es münde in Gerede.“ (S. 289) Das überschreitet bei weitem, was von einem akademischen Germanisten erwartet wird, das nähert sich schon der Beobachtungskunst eines Elias Canetti, eines Peter Handke.
Ein mehr als sinniges, ja ein würdiges Finale ist dann der Schluss-Text, Fragmentarischer Rückblick auf eine Gründerzeit der österreichischen Germanistik (S. 345–360) überschrieben. Dabei handelt es sich um eine Rede, die Amann im Sommer 2015 hielt. In dieser bis dato ungedruckten Ansprache anlässlich des 165. Gründungstages des Instituts für Germanistik an der Universität Wien führte er Auto- und Fach-Biografisches mit Binnenwissenschaftlichem elegant zusammen, ganz in Amann-Manier eben.
Alexander Kluy ist Autor, Kritiker, Herausgeber, Literaturvermittler. Zahlreiche Veröffentlichungen in österreichischen, deutschen und Schweizer Zeitungen und Zeitschriften. Editionen, zuletzt Konrad Engelbert Oelsner Luzifer oder Gereinigte Beiträge zur Französischen Revolution (Limbus, 2024) und Felix Dörmann Jazz (Edition Atelier, 2023). Zahlreiche Buchveröffentlichungen, zuletzt in der Edition Atelier die Bände Das Kreuzworträtsel und seine Geschichte (2024), Der Regenschirm. Eine Kulturgeschichte (2023) und Giraffen. Eine Kulturgeschichte (2022) sowie im Corso Verlag Vom Klang der Donau (2022).