// unveröffentlichte Texte aus der exil.Literaturhauswerkstatt

Jun Kathan
bewusstseinsfarben im sand

schwarz-weiße giraffen wandern über den sand. bis vor kurzem wollte ich die welt nur in schwarz-weiß sehen. mittlerweile habe ich mich mit den farben angefreundet. mit grün natürlich nicht. mit braun auch nicht. aber mit einigen anderen schon.
warum habe ich als kind farben geliebt, als teenager gehasst und als junger erwachsener wieder zu lieben begonnen? die erinnerungen an meine bunten kleider und strumpfhosen und an den morgen, an dem mir eine giraffe gesagt hatte, dass ich so viele bunt gestreifte kleidungsstücke unmöglich miteinander kombinieren könne, sind ganz lebendig in meinem kopf zurückgeblieben.

als teenager habe ich mich der abwesenheit von licht verschrieben und natürlich liebe ich schwarz noch immer, aber beginne langsam die eleganz in den farben zu erkennen.
zuerst in rot. die giraffen haben nun rote flecken, statt schwarze.
dann in rosa. der strand verfärbt sich rosa. beige mag ich mittlerweile auch. die felsklippen um den strand herum werden beige. die farbe gelb mochte ich als kind besonders gerne, weshalb es mich umso mehr freut, sie wieder als schön empfinden zu können. gelbschimmernde perlen liegen am ganzen strand verteilt im sand.

momentan versuche ich mich mit den restlichen farben anzufreunden. das ist gar nicht so leicht. ich finde einfach keinen gefallen an den farben grün und braun. orange ist mir zu grell und die farbe blau entweder zu blau oder zu wenig blau. sie erinnert mich zu sehr an den dunklen winter. violett ist für mich nur eine mischung aus rot und blau, welche aber viel schöner ohne den zusatz von blau wäre.

mein teenager-ich war besonders rebellisch und so sind einige dinge in meinem bewusstsein noch immer anwesend. sie gehen nicht weg, so wie es sich mein behütetes, jüngeres ich vermutlich wünschen würde. wie die zigaretten in den mäulern der giraffen oder das meer, das aus kaffee besteht. den milchschaum der wellen, der sich am rosafarbenen strand sammelt, würde mein buntes ich wahrscheinlich akzeptieren.
der kaffee wird immer intensiver je weiter man ins meer herausschwimmt. das würde meinem inneren kind nicht gefallen. am horizont ist das kaffeemeer schwarz, während es in der nähe des strandes einen milchkaffeeton annimmt. die farben des kaffeemeeres mag ich auch. vielleicht akzeptiere ich braun ja doch.

zwei rolltreppen transportieren kaffeetassen vom strand rauf zu den felsklippen und wieder zurück zum kaffeemeer. ich fahre mit der rolltreppe nach oben. dort angelangt stelle ich mich zu den frisch mit rosenlimonade ausgespülten tassen, genieße die sonne, welche die tassen um mich herum trocknet und fahre zwischen tassen – hinter und vor mir jeweils eine – wieder nach unten zum rosafarbenen sandstrand.

schon komisch, wie sich einstellungen ändern können. die alten giraffen akzeptieren, dass ich lesbisch bin und haben vor einigen jahren noch homophobe bemerkungen gemacht. sie hinterfragen immer weniger oft, warum ich meinen namen geändert habe und immer häufiger entdecke ich auf den wöchentlichen umfrageformularen, die meinen gemütszustand abfragen, die option „divers“.
die giraffen sehe ich nicht mehr in schwarz-weiß. sie tragen rosa maschen und rote rückentaschen. vielleicht auch violette hemden und blaue jeans. vielleicht, denn diese beiden farben sind mir noch immer suspekt.

eine u-bahn kommt im sand zum stehen. zahlreiche giraffen steigen aus. manche von ihnen haben statt rote flecken braune. eine giraffe trägt auf ihrem rücken „grauemilch“, meine katze.
sie hat graues fell und mag milch. grauemilch springt von der giraffe und kommt angerannt. ich hocke mich hin und streichele sie, bis sie ihr interesse verliert und im milchschaum spielen geht.
ich nehme auf einer großen erdbeere platz und beobachte sie dabei. den strand entlang stehen wäscheständer hintereinander und voreinander in einer reihe platziert. krawatten in verschiedenen mustern hängen auf ihnen. nur keine gepunkteten krawatten, denn gepunktete muster mag ich nicht. neben meinem erdbeersessel entdecke ich eine muschel und hebe sie auf. öffne sie. im muschelinneren befindet sich ein granatapfelkern. den nehme ich heraus, esse ihn und lasse die muschel aus meinen händen in den sand gleiten.

barbies schweben als wolkenersatz am himmel, ein werk meines jüngeren ichs und zahlreiche plakate kleben an den felswänden, das schaffen meines jugendlichen ichs.
einige plakate beinhalten grüne elemente. als teenager hatte ich eine zeit lang grün gefärbte haare und einige meiner liebsten oberteile sind aus grünem stoff. vielleicht ist grün doch nicht so schlecht. eine weitere u-bahn fährt ein. giraffen mit roten und braunen flecken treten heraus. einige davon tragen grüne pullover.
ich lächle. eine weitere, eine neue bewusstseinsfarbe.

© Jun Kathan

geboren 2006 in wien. besuchte 8 jahre lang alternativschulen und nun ein borg. gewinner:in des exil-jugendliteraturpreises 2022. interessen: schreiben, lesen, musik machen, reisen, schachspielen, kunst und kultur.

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