// unveröffentlichte Texte aus der exil.Literaturhauswerkstatt

Bernadette Sarman
nachricht gelesen (Ausschnitt)

Sie steht allein in der Küche vor dem Obstkorb, ihre Hände an der Theke abgestützt, dazwischen ihr Handy. Sie starrt auf die Nachricht von Tom, die blaue Nachrichtenblase starrt zurück. Agnes liest sie nochmal, nochmal, dann wischt sie sie weg.
Es gibt Wege drüber zu stehen, sagt sie dann, mehr zu sich als zu jemanden, es ist niemand da, der ihr zuhören würde. Sie nimmt sich einen glänzenden Apfel, wischt kurz mit dem Daumen drüber, beißt hinein, die Schale des Apfels quietscht kurz an ihren Schneidezähnen. Während sie kaut und beißt, werden die Apfelstücke in ihrem Mund kleiner und weicher und immer weicher. Da denkt sie plötzlich an Matsch und Milch und aufgeschlagene Haut und kann nicht aufhören. Sie denkt an Innereien, die sich nach außen stülpen, sie denkt an rohes Fleisch im blau-rot beleuchteten Supermarktregal, an denen sie immer mit Ekel und einem umgedrehten Magen vorbeiläuft. Sie denkt an Weichtiere, sie denkt an Weichteile, sie schluckt die Apfelstücke, beißt weiter, bis alles zu einem großen Gatsch in ihrem Mund wird. Er klumpt, ballt ihre Wangen, sie hat vergessen zu schlucken, fällt ihr ein und schluckt ein viel zu großes Apfelstück. Sie spürt es in ihrem Hals, es bleibt dort stecken. Sie beginnt zu husten und der Mundgatsch füllt ihre Wangen, sie hat das Gefühl zu platzen, sie hustet, hustet. Gereizter Hals, atmen will sie, atmen doch nur atmen, stürmt zum Waschbecken, fast halten ihre Füße sie nicht, ihre Augen brennen. Ihr schießen Tränen aus den Augen, sie röchelt und spürt die Magenflüssigkeit hochjagen, sie übergibt sich ins Waschbecken. Sie spuckt, spürt den nächsten Magenstoß, es holt ihren gesamten Mageninhalt herauf. Ein Nudelstück, ein bisschen Reis, das jetzt am Metall des Waschbeckens kleben bleibt. Sie sieht nichts mehr, spürt, wie heiß, wie flüssig ihre Sicht wieder wird, sieht ein bisschen Nudeln, ein bisschen Undefinierbares und dazwischen Apfelstücke, Apfelstücke, diese scheiß Apfelstücke. Sie spuckt noch mehr davon aus, fährt sich mit der Zunge über die Zähne, da ist noch eins, sie spuckt, ihre Lippen brennen. Ihr Magen dreht sich wieder um, krampft und krallt sich an den Rand des Küchentresens und sie will, dass es aufhört. Spürt, wie kernig sie wird, ganz hart und ganz dünn, zum Abbrechen fast. Fühlt sich stielförmig, es dreht sich alles.
In der anderen Hand hält sie noch immer den Apfelrest, zwischen Daumen und Zeigefinger und abgewinkeltem kleinen Finger, als könnte sie selbst im Kotzen ihre Würde behalten, noch immer Perfektion aufrechterhalten.
Ihr Körper biegt sich sichelförmig zu Boden. Ihr Brechen hat Gewicht, es drückt sie ins Metall des Waschbeckens. Sie spuckt, würgt, nichts kommt mehr heraus, im Hals nur Feuer. Fäden ziehen sich aus ihrem Rachen, von ihren geöffneten Lippen. Noch einmal bäumt sich ihr Magen, wieder nichts, dann starrt sie auf den Brei im Waschbecken. Was davon ist noch der Apfel oder ist das schon ihre Zunge? Unter der Masse wölbt sich der Umriss eines Teelöffels.
Der Mond fällt auf den Küchentresen, als sie sich die groben Stücke von ihrem Kinn wischt. Ihr Gesicht ist nass. Ihr Brustkorb hebt und senkt sich, als sie ihr Handy nimmt und ihm antwortet.

© Bernadette Sarman

Bernatte Sarman, Foto © Aaron Alon

*2001 in Wien als Tochter eines Kärntners und einer Japanerin. Kindheit in Niederösterreich. Studentin der Germanistik und Japanologie an der Universität Wien. Veröffentlichungen in diversen Anthologien und Zeitschriften (u. a. etcetera, mischen, UND, Literarische Blätter, archipel). Zahlreiche Lesungen in Niederösterreich und Wien, unter anderem im Rahmen der Gedenkveranstaltung 2018 in der Wiener Hofburg. Seit 2022 schreibt sie journalistisch für das Kulturmagazin BÜHNE.

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